Niedersachsen:Tanz um Hannover

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Comeback aus dem Umfragetief: Ministerpräsident Stephan Weil, hier auf einem SPD-Wahlplakat. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Letzte Umfragen vor dem Wahlsonntag sehen die regierende SPD im Land knapp vor der Union.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Da sage noch einer, Niedersachsen sei öde. Das Land und seine Hauptstadt Hannover stehen ja zuweilen im Ruf, mit Reizen zu geizen, dabei spannt sich ihr Terrain vom schroffen Harz bis an die raue Nordsee und ihre Inseln. Und was dieses Bundesland in diesen Wochen erlebt, ist geradezu dramatisch. Der Landtagswahl an diesem 15. Oktober ist eine politische Schlacht vorausgegangen. Auch das politische Berlin ist aufgeregt.

Vormals prominente Figuren gingen in Niedersachsen immer wieder an den Start. Unter den früheren Siegern der CDU waren Ernst Albrecht, der Vater von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, und Christian Wulff, Bundespräsident a. D. Zu den ehemaligen Siegern der niedersächsischen SPD gehören Gerhard Schröder, später Bundeskanzler, und Sigmar Gabriel, zur Zeit noch Außenminister. Jetzt stehen sich der SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, 58, und sein CDU-Rivale Bernd Althusmann, 50, gegenüber. Sie leisteten sich sogar ein richtiges Fernsehduell, anders als Angela Merkel und Martin Schulz. Inzwischen sieht es so aus, als ob der Amtsinhaber Weil im Finale vorbeiziehen würde, dabei war ihm sein Widerpart Althusmann im Sommer enteilt.

Seit in Berlin das Ende der großen Koalition naht, kommt die SPD-Kampagne in Schwung

Laut neuen Umfragen bekäme die SPD mehr als 34 Prozent der Stimmen, die CDU 33 Prozent oder weniger. FDP und Grüne kämen demnach auf neun Prozent, die AfD würde mit sieben bis acht Prozent in den Landtag einziehen, die Linke mit gut fünf Prozent. Knapper Ausgang plus zwei neue Parteien - das macht die Lage kompliziert. Unklar ist, wie aus dieser Gemengelage eine Regierung werden soll.

Zuletzt traten beide Spitzenkandidaten noch einmal mit ihren Parteichefs auf: Weil mit Schulz, Althusmann binnen zwei Tagen viermal mit Kanzlerin Merkel. Die CDU ist in Niedersachsen seit 2003 wieder nominell die stärkste Kraft, doch seit 2013 regierte mit minimaler Mehrheit Rot-Grün. Als im August dann die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten in die CDU-Fraktion hinüberwechselte, war der Vorsprung dahin, deswegen dieser verfrühte Wahltermin. Seit in Berlin das Ende der großen Koalition naht, kommt Weils Wahlkampf immer besser in Schwung.

Gestritten wird über den VW-Skandal, die Bildung und die innere Sicherheit. Vor allem bei den Themen Volkswagen und Erziehung versuchte der noch nicht so bekannte Althusmann zu punkten. Beides scheint ihm mäßig gelungen zu sein, auch wenn er vor einem Abstecher nach Afrika Kultusminister gewesen war und dem VW-Aufsichtsratsmitglied Weil vorwirft, in der Affäre geschlampt zu haben. Weil konterte in der Gewissheit, dass sich Politik und Konzern im VW-Land Niedersachsen auch unter CDU/FDP nahe waren und um die Schulen ebenfalls schon länger gezankt wird. Es geht bereits um Bündnisse. Wer könnte mit wem? Und wer nicht?

Rechnerisch wären voraussichtlich große Koalition, Ampel und Jamaika möglich. Für eine Fortsetzung von Rot-Grün wird es kaum reichen, ebenso wenig für den Gegenentwurf Schwarz-Gelb oder das Experiment Rot-Rot-Grün. Die FDP, die es für die Ampel bräuchte, mögen SPD und Grüne nicht recht. Eine große Koalition hält Weil für unwahrscheinlich. Wobei er mitteilt, er leide "nicht unter Ausschließeritis". Diese Krankheit bedroht einige Optionen: Althusmann und Weil, also CDU und SPD, verstehen sich miserabel. CDU und Grüne verstehen sich noch schlechter. Jamaika hält Althusmann im Agrarland Niedersachsen deshalb für schwierig.

"Ich möchte durch mein Leben tanzen", berichtete der großgewachsene Reservist Althusmann (Kosename "Panzer") gerade dem Magazin Bunte. Er erzählte vom Nachttanz mit seiner Frau im Wohnzimmer. Für Politikerkarrieren war das Heft nicht immer hilfreich, das mussten Rudolf Scharping wie Torsten Albig erfahren. Den Tanz um Hannover wird man am Sonntag erleben.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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