Neue US-Regierung: John Podesta:Die Herkulesaufgabe des Marathonläufers

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Wie Bill Clintons ehemaliger Stabschef John Podesta für Obama die Amtsübergabe Ende Januar 2009 organisieren will.

Christian Wernicke

John Podesta hasst lange Reden. Er verabscheut den Wortnebel, mit dem Politiker schlechte Nachrichten verschleiern. Dieser kleine, zähe Mann mit dem asketischen Schädel und den grauen Stoppelhaaren pflegt seinen eigenen, sehr direkten Stil: Er entschuldigt sich vorab - und dann spricht er Klartext.

Die neue Familie im Weißen Haus: Barack und Michelle Obama mit ihren Töchtern. (Foto: Foto: AFP)

So führt Podesta, der Präsident des linken Think Tanks "Center for American Progress" (CAP), heikle Gespräche mit seinen Mitarbeitern. Und nicht anders geht der 59-jährige Demokrat vor, wenn er bisweilen aus Washingtons Kulisse tritt und sich auf eine öffentliche Bühne wagt. Selbst Amerikas tradierte Etikette, dass kein Landsmann in fremden Gestaden schlecht reden möge über die eigene Regierung, wischt er dann beiseite. Er sei gekommen, so begann Podesta vor einem Jahr eine Anti-Bush-Philippika bei der Bucerius Law School in Hamburg, "um offen die Wahrheit zu sagen."

Dann legte er los. Messerscharf und mit kalter Wut formulierte er, wie Bushs Machtpolitik "wichtigste Verbündete und das internationale Recht" übergangen habe. Podestas Stimme bebte: "Überall auf dem Globus sieht eine ganze Generation junger Menschen nicht länger die Freiheitsstatue als Symbol der Vereinigten Staaten.

Das ist nun Guantanamo - oder das Bild eines vermummten Irakers, der in Abu Ghraib auf einer Kiste steht und an dessen Leib Elektroden hängen." Sein Zorn traf nicht nur den Präsidenten: Für "die Mischung aus Angst und Hybris" machte er mehr noch dessen Vize Dick Cheney verantwortlich, den Innen-Architekten des Bush'schen Machtgebäudes. Denn Cheney habe 2001 die (inzwischen legendär finstere) Parole ausgegeben, Amerika müsse im Kampf gegen den Terror "auf der dunklen Seite operieren".

John Podesta ahnte damals nicht, dass ausgerechnet er in die Fußstapfen des Dick Cheney treten würde. Zwar wird dieser Washingtoner Insider und langjährige Strippenzieher nun nicht Vizepräsident. Aber der Sieg von Barack Obama macht den Juristen wenigstens bis zum 20. Januar nächsten Jahres zu einem der mächtigsten Männer im Land: Dieser drahtige Marathonläufer nämlich hat den Auftrag, als Chef des sogenannten "Transition Teams" die Staffelübergabe vom 43. zum 44. Präsidenten zu organisieren.

Er wird Obama all die Skizzen vorlegen, wie die nächste Regierung sich besser organisieren soll. Und er wird Obama all die Namen nennen, die vom 21. Januar 2009 an - dem Tag nach dem Inauguration Day - an Tausenden von Schlüsselstellen in der Bürokratie dafür sorgen sollen, dass ein neuer Wind durch die Hauptstadt weht. Vor acht Jahren war es Dick Cheney, dem als Chef von Bushs Übergangstruppe diese Gestaltungsmacht in die Hände fiel. Cheney nutzte das Privileg - und durchzog die Bush-Administration mit einem Netzwerk ihm ergebener Konservativer.

Solcherlei Günstlingswirtschaft, das versichern Podestas Vertraute, werde es diesmal nicht geben. "John hat keinerlei Ambitionen für sich selbst", glaubt ein demokratischer Freund. Podesta treibe "nicht persönlicher Ehrgeiz", sondern "ein fast soldatisches Pflichtverständnis." Der Mann mit dem Nachnamen, der so sehr nach alt-römischer Amtsgewalt ("potestas") klingt, verfolge nur ein Ziel: das große, blumige Obama-Wort vom Change technokratisch effizient und präzise als Wandel im System zu implementieren.

Die Schätzungen schwanken, aber circa 10000 Schreibtische werden in Washingtons Apparat nun neu besetzt. Die Parteifarbe Blau verdrängt Rot, und die wichtigsten Personalien müssen zudem vom Senat genehmigt werden. Das schnell zu schaffen, gilt seit dem 11. September 2001 als Gebot nationaler Sicherheit. Denn jene Expertenkommission, die nach den Terroranschlägen Amerikas innere Schwächen analysierte, bemängelte massiv, wie träge, entscheidungsschwach und also verwundbar die USA in Zeiten des Machtwechsels seien. Die Attentate auf die Twin Towers geschahen im ersten Amtsjahr der Bush-Regierung - zu einem Zeitpunkt, da noch nicht einmal 500 der 1100 im Senat anhängigen Anhörungen für die damals neue Führungskaste erledigt waren. Auch die Clintons hatten sich 1993 heillos verzettelt und letztlich ihr erstes Amtsjahr in Washington vergeudet.

Ein Ruf von galligem Humor

Podesta erinnert sich an diese Pleiten und Pannen sehr genau. Der Sprössling einer proletarischen Familie aus Nord-Chicago war damals Anfang 40, und nach Jahren in diversen Jobs im Kongress schon ein alter Hase in Washington. Als Mitglied linker Sozialinitiativen hatte er in den achtziger Jahren nach Pfaden gesucht, die zu mehr Demokratie und weniger Kapitalismus führen würden. Der leidenschaftliche Anwalt, den die Bürgerrechtsbewegung und der Widerstand gegen den Vietnamkrieg geprägt hatten, arbeitet inzwischen seit Jahren im Kongress. Als das Weiße Haus um Beistand rief, folgte er.

Von Oktober 1998 bis Januar 2001 war Podesta dann Chief of Staff, mithin der allmächtige Büroleiter des Präsidenten. Seinem Ruf, mit galligem Humor so machen Gegner abschrecken zu können, wurde er drei Mal in Kongressanhörungen gerecht - vor allem, da er als erster Berater des Präsidenten half, Bill Clinton gegen Vorwürfe des Meineids in der Affäre um die Praktikantin Monica Lewinsky und die oral-sexuellen Praktiken des 42. US-Oberbefehlshabers zu verteidigen. Jahre später räumte Podesta ein, Clinton habe auch ihn in der Affäre lange schlicht belogen. Er selbst hat einmal ergänzt, er habe aus Loyalität zur demokratischen Sache gedient. Nicht aus Liebe zu Clinton.

Dennoch, nicht nur in Washington gilt Podesta seit damals als Clinton-Mann. Auf jener Deutschlandreise vor genau einem Jahr traf Podesta auch Frank-Walter Steinmeier, den deutschen Außenminister. Die zwei Männer - beide filigrane Manager der Macht mit politischem Ur-Instinkt - kannten sich bis dahin nur vom Telefon: Der Kanzlerberater und der Büroleiter des Präsidenten hatten Ende der neunziger Jahre fast täglich telefoniert, um die Krise auf dem Balkan zu stemmen. Und nach der ersten persönlichen Begegnung im November 2007 glaubte der deutsche Minister wochenlang, eine Präsidentin Hillary Clinton sei unvermeidlich, so intensiv hatte Podesta für seine Herrin geworben.

Dann kamen die demokratischen Vorwahlen, also Hillarys Niederlagen und Obamas Siege. Der deutsche Minister lernte dazu, Podesta lernte um. In seinem eigenen Haus, dem Center for American Progress, outeten sich stetig mehr und mehr Obama-Berater. Podestas Think Tank gab ein ganzes Buch heraus mit dem detallierten Programm einer demokratischen Regierung, und sein Vorwort - der Entwurf einer Rede zum Amtsantritt einer Präsidentin namens Clinton - wurde von John McCain im Oktober als arroganter, weil verfrühter Machtanspruch der Demokraten gegeißelt. Podesta blieb Hillary treu, selbst über deren Untergang hinaus. Dennoch ereilte ihn dann der Anruf von Obama mit dem Angebot, sein Übergangsteam zu leiten. "Dies ist ein Knochenjob, für den man Nerven braucht", erklärt ein altgedienter Europa-Experte. "Washington ist ein Kampfplatz für eitle Egos. Und jetzt lauert der härteste, der ultimative Kampf: Wer jetzt verliert, kriegt keinen Job in der neuen Regierung."

Also schauen nun alle auf ihn. "Podesta muss beweisen, dass er auch die neuen Kräfte einbindet", sagt Steven Clemons, der Chef des überparteilichen Think Tanks der New America Foundation. Obama habe im Wahlkampf Aktivisten und Experten aus allen Ecken der Partei eingebunden - Realos und Fundis, Wortführer von Graswurzel-Organisationen und das demokratische Establishment. "Jetzt, bei der Zusammenstellung der neuen Regierung, werden einige davon zwangsläufig zu den Verlierern zählen", sagt Clemons. Podesta müsse zudem sicherstellen, dass verbitterte Geister nicht demnächst als Aufständische gegen Obama zu Felde zögen.

Für sich selbst, so flüstern Eingeweihte, sieht Podesta keinen Platz in der neuen Regierung. Angeblich hat ihm Obama bereits vor Wochen das Amt des Energieministers angeboten. Das würde zu Podesta passen, ist er doch leidenschaftlicher Vordenker einer ökologischen Erneuerung Amerikas. Bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung pries er erst vorige Woche die deutsche Klimapolitik als "Vorbild für Amerika." Freunde glauben, allenfalls das Amt eines fast allmächtigen "Zaren für Klima- und Energie" könne Podesta ins Kabinett locken. Aber das hätte einen hohen Preis: Er müsste fortan - sehr viel und sehr lang - nebulöse Reden halten.

© SZ vom 06.11.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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