Nepal:Kopfloser Einsatz

Lesezeit: 2 min

Rettungsaktionen in entlegenen Bergdörfern sind aufwendig - so wie diese, bei der eine Mutter mit ihrem 22 Tage alten Kleinkind ausgeflogen wurde. (Foto: Navesh Chitrakar/Reuters)

Seit sieben Jahren ist Nepal eine Republik - und seit sieben Jahren ist das Land politisch gelähmt. Schon wenige Tage nach der Naturkatastrophe brechen die unheilvollen Grabenkämpfe wieder aus.

Von Arne Perras, Singapur

Der Staat hatte schon das Ende der Hoffnung verkündet. "Ich denke, jetzt gibt es keine Chance mehr, Überlebende zu finden". Mit diesen Worten war Laxmi Prasad Dhakal, Sprecher des nepalesischen Innenministers, am Samstag vor die Presse getreten. Da wusste er noch nichts von jenem alten Mann, den Helfer an diesem Wochenende noch aus den Trümmern seiner Lehmhütte ziehen würden. Die Behörden sprachen am Sonntag davon, dass der Überlebende aus dem Dorf Kimtang 100 Jahre alt sei. Auch in einem anderen Ort fanden Retter lebende Verschüttete, einen Mann und zwei Frauen. Wann sie genau geborgen wurden, war zunächst unklar.

Abgesehen von dieser an ein Wunder grenzenden Rettung, die nun Aufsehen erregt und Freude auslöst, haben die Nepalesen wenig Grund zur Zuversicht. Ja, die Hilfe rollt. Aber nicht so, wie es sich die meisten erhoffen. Sie bleibt oft stecken oder erreicht nicht jene, die sie am dringendsten brauchen. Und eine Woche nach dem Beben verfestigt sich bei vielen der Eindruck, dass ihr Staat nicht Herr der Lage ist.

Kommunalwahlen gab es schon lange nicht mehr. So fühlt sich nun niemand verantwortlich

Dieses Bild der Lähmung verkörperte in diesen Tagen auch immer wieder Premier Sushil Koirala. Als in Nepal die Erde bebte, war der 75-jährige Regierungschef gerade außer Landes. Er befand sich auf der Rückreise von einer Konferenz in Südostasien und machte Stopp in Bangkok. Das ist nicht ungewöhnlich. Angeblich aber dauerte es mehr als 40 Minuten, bis Koirala erstmals von der Katastrophe in seiner Heimat erfuhr. Und es war nicht einmal der eigene Staatsapparat, der ihn informierte. Der Regierungschef erfuhr von dem Beben durch eine Twitter-Nachricht des indischen Premiers Narendra Modi.

Den Einsatz der Inder lobt Koirala seither unablässig, Nepal könne sich glücklich schätzen, ein Land wie Indien zum Nachbarn zu haben. Unausgesprochen bleibt hingegen, was viele Nepalesen in diesen Tagen schmerzhaft erleben müssen: das Versagen ihrer eigenen Regierung. Wie Kunda Dixit, Kolumnist der Nepali Times, beobachtet, haben die politischen Grabenkämpfe in seinem Land wenige Tage nach dem Beben bereits wieder eingesetzt. "Anstatt angesichts des Notstands zusammenzustehen, versuchen Politiker auf nationaler Ebene, Kapital aus der Situation zu schlagen." Vielen kommt das schon bekannt vor, weil Nepals Politiker das Land schon früher immer wieder zur Geisel ihrer eigenen Ambitionen machten, wie Dixit schreibt.

Im Jahr 2006 war es zwar gelungen, die Rebellion der Maoisten durch ein Friedensabkommen zu beenden. 2008 fiel die Monarchie, Nepal ist seither eine Republik. Doch noch immer rangeln die rivalisierenden Kräfte um eine neue Verfassung. Koirala, der im Februar 2014 zum Premier gewählt wurde, konnte die hohen Erwartungen an ihn nicht erfüllen, er ist an Krebs erkrankt. Nun dürften die Folgen des Erdbebens eine Einigung noch weiter verzögern.

"Der Mangel an starker koordinierter Führung an der Spitze ist offensichtlich", schreibt der Anthropologe David Gellner von der Universität Oxford über die Krise in Nepal. Er bezeichnet es außerdem als großes Versagen der politischen Klasse, dass sie seit vielen Jahren keine Kommunalwahlen mehr ermöglich hat. Dies rächt sich nun nach dem Erdbeben, weil sich auf der Ebene der Gemeinden niemand verantwortlich fühlt und auch nicht ausreichend legitimiert ist, um die Rettung und den Wiederaufbau zu koordinieren.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: