Nato:Mit kühler Logik

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Nach einer Phase des Belauerns reden Moskau und Washington immerhin wieder miteinander: In Brüssel tritt der Nato-Russland-Rat zusammen.

Von Daniel Brössler und Tobias Matern, Luxemburg/München

Eigentlich hatten die USA unter Präsident Barack Obama schon das pazifische Zeitalter ausgerufen, wollten mehr und mehr militärische Präsenz in Asien zeigen - und ihr Engagement in Europa zurückfahren. Doch dann kam der Ukraine-Krieg und damit das dringende Bedürfnis in Washington und von etlichen europäischen Nato-Partnern, Wladimir Putin stärker die Stirn zu bieten. Nun schickt Obama in Curtis "Mike" Scaparrotti einen Viersterne-General, um diese Aufgabe zu erfüllen. Scaparrotti soll den militärischen Top-Posten der Nato in Europa einnehmen, der "Saceur" abgekürzt wird: Supreme Allied Commander Europe.

Am Donnerstag muss er sich noch einer Anhörung im US-Senat stellen, seine Bestätigung gilt indes als sicher. Der Saceur kommt traditionell aus den USA, den Generalsekretär der Nato stellen die Europäer. Scaparrotti soll bereits im Mai seinen neuen Job antreten. Für den 60-Jährigen ist es zum Ausklang seiner Karriere noch einmal eine Beförderung - er nimmt bald eine herausragende Position ein, die einst Dwight D. Eisenhower ausgefüllt hat.

Bislang war der Vater von zwei erwachsenen Kindern in Südkorea stationiert, als Oberkommandierender der südkoreanisch-amerikanischen Truppen. Scaparrotti begegnete den nuklearen Ambitionen des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un mit der kühlen Logik eines Generals: Nach dem jüngsten Nukleartest versetze er seine Truppe in höchste Alarmbereitschaft. In der belgischen Ortschaft Mons, in der Scaparotti als Saceur im Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Europa nun arbeiten wird, muss er sich vor allem dem Konflikt mit Russland stellen.

Wie sehr dies auch innerhalb der Nato ein Balanceakt ist, bekommt Noch-Saceur Philipp Breedlove zu spüren: Während sich die Osteuropäer eine klare Positionierung gegen Russland wünschen, geht es einigen Nato-Verbündeten deutlich zu weit, wenn der scheidende Saceur Sätze sagt wie jüngst in Washington: Moskau, so Breedlove, habe sich entschieden, "ein Gegner zu sein, der eine langfristige, existenzielle Gefahr für die Vereinigten Staaten" darstellt. Die Nato müsse sich offensiver ausrichten, um auf die Bedrohung zu reagieren.

Scaparrotti tritt seine neue Stelle in einer Phase ab, in der die Nato und Russland beginnen, wieder mehr miteinander zu kommunizieren. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg dämpfte jedoch die Erwartungen an die Sitzung des Nato-Russland-Rates an diesem Mittwoch in Brüssel. "Dass wir eine Sitzung des Nato-Russland-Rates abhalten, bedeutet nicht, dass wir zurück sind beim business as usual", sagte er am Dienstag vor einem Treffen mit den EU-Verteidigungsministern in Luxemburg.

Die Sitzung auf Botschafterebene ist die erste des Rates seit Juni 2014. Über die Einberufung war monatelang verhandelt worden. "Es ist sehr wichtig, dass wir einen politischen Dialog haben, insbesondere, wenn die Zeiten so schwierig sind wie jetzt", sagte Stoltenberg. Angesichts zunehmender Spannungen seien "offene Kanäle für den Dialog, für Berechenbarkeit und Transparenz noch wichtiger". Das zeige auch das "unprofessionelle Verhalten" russischer Flugzeuge, die sich vergangene Woche über der Ostsee einem Schiff und einem Flugzeug der US-Streitkräfte gefährlich genähert hätten. Moskau wies diese Darstellung zurück. Die russischen Streitkräfte hätten ein fremdes Flugobjekt ausgemacht, das sich auf die russische Staatsgrenze zubewegt habe. Daraufhin sei ein Jagdflieger aufgestiegen und habe das US-Flugzeug identifiziert. Bei Sichtkontakt sei die US-Maschine umgekehrt. Russland habe sich an internationale Regeln gehalten.

Beim Nato-Russland-Rat soll nun also darüber gesprochen werden, wie das Risiko militärischer Zwischenfälle vermindert werden könne, auch die Lage in der Ukraine und in Afghanistan wird thematisiert. "Es ist ein guter Schritt, wenn man sich zusammen in einen Raum setzt und miteinander spricht", sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Die Nato hatte 2014 als Antwort auf die Annexion der Krim und die russische Unterstützung für Separatisten im Osten der Ukraine die praktische Zusammenarbeit mit Russland suspendiert, aber erklärt, den Dialog aufrechterhalten zu wollen.

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(Foto: picture alliance / dpa)

Der Viersterne-General Curtis Scaparrotti ist der neue "Saceur" der Nato für Europa. Die Abkürzung steht für Supreme Allied Commander Europe. Er kommt traditionell aus den USA. Foto: dpa

Spannungen lösen auch Pläne Washingtons aus, von 2017 an eine Panzerbrigade in den Osten Europas zu verlegen. Die 4200 Soldaten sollen rotierend für jeweils neun Monate eingesetzt werden. Das ist Teil der neuen "Europäischen Rückversicherungs-Strategie". Damit entspricht Washington auch einem in Osteuropa weit verbreiteten Wunsch. "Vor allem die Balten sind bei einem russischen Angriff besonders verwundbar, sie könnten wenig ausrichten, bevor sie vollständig überrannt werden", heißt es in einer Analyse des Polnischen Instituts für internationale Angelegenheiten (Pism) in Warschau. Die Nato müsse dringend dauerhafte Stützpunkte in der Region installieren.

Das wiederum würde russische Vorbehalte stärken. Der Historiker Alexej Fenenko, der an der Moskauer Staats-Universität lehrt, schreibt in einem gerade veröffentlichten Aufsatz, die Gefahr eines "begrenzten militärischen Konflikts zwischen Russland und den USA ist inzwischen wahrscheinlicher als während des Kalten Krieges". Schuld daran seien vor allem die USA, die ihre Strategie darauf ausgerichtet hätten, die russischen Nachbarstaaten gegen Moskau aufzubringen.

In diese polarisierte Stimmung hinein fällt nun Scaparottis Amtsantritt. Erfahrung aus Krisengebieten bringt er aus dem Irak und Afghanistan reichlich mit. Am Hindukusch erklärte er seinen Soldaten schriftlich, dass selbst eine Koalition aus 49 Staaten in der Lage sein müsse, als Team zu arbeiten. Ob er es schafft, die 28 Nato-Mitglieder zu einem funktionierenden Team zu formen, kann er nun unter Beweis stellen.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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