Nato-Einsatz in der Türkei:Herr über die "Patriot"-Raketen

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"Der Drücker wird bei unserer Armee liegen": Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat mit seinen Aussagen zum "Patriot"-Einsatz der Nato in seinem Land für Unruhe gesorgt. Dabei erzählt der Politiker blanken Unsinn. Nur theoretisch könnte die konkrete Befehlsgewalt bei einem türkischen Offizier liegen - praktisch hat sie zurzeit der amerikanische Admiral James Stavridis.

Peter Blechschmidt, Berlin

Bei ihm liegt die Befehlsgewalt über den Patriot-Verband der Nato: US-Admiral James Stavridis. (Foto: dapd)

Die Skeptiker fühlten sich bestätigt. Mancher Politiker befürchtet - wie viele Bürger auch -, dass die Nato und die Bundeswehr mit der geplanten Stationierung von Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei in den syrischen Bürgerkrieg hineingezogen werden könnten. Und dann lässt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan einen Sprecher seiner Partei AKP in Ankara zur Frage der Befehlsgewalt über die Patriots erklären: "Wenn Sie mich nun fragen, wer den Finger am Drücker hat: Der Drücker wird bei unserer Armee liegen."

Das ist natürlich blanker Unsinn. Die Befehlsgewalt über die Patriots liegt eindeutig beim Nato-Oberkommandierenden in Brüssel, dem Supreme Allied Commander Europe, in der militärischen Vorliebe für Abkürzungen Saceur genannt. Das ist zurzeit der amerikanische Admiral James Stavridis. Ein Nato-Sprecher betonte am Freitag, die Befehlsstränge im Bündnis seien Bestandteil des ständigen Verteidigungsplans, der von allen 28 Mitgliedstaaten gebilligt sei. Der Saceur übe seine Befehlsgewalt nach den Beschlüssen und den Regeln aus, die der Nato-Rat, das politische Entscheidungsgremium, vorgegeben habe.

In der Praxis wird der Befehl zum Abschuss einer Patriot von dem zuständigen Nato-Kommandeur im Einsatz kommen. Das kann auch gar nicht anders sein. Im Ernstfall geht es um eine Entscheidung, die angesichts der Geschwindigkeit eines angreifenden Flugkörpers in maximal ein bis zwei Minuten getroffen werden muss. Für Rückfragen bleibt da keine Zeit. Deswegen gibt es die rules of engagement, die Einsatzregeln, in denen genau festgelegt ist, wann ein Kommandeur im Einsatz welche Befehle geben darf.

"Kein Abschuss gegen den Willen der Nato"

Selbstverständlich ist die Türkei als großes Mitgliedsland fest in die Strukturen der Nato eingebunden. Insofern ist es theoretisch denkbar, dass das Kommando über die Patriot-Staffeln an der Grenze zu Syrien einem türkischen Offizier übertragen würde. Dies ist jedoch überhaupt noch nicht entschieden, und ein türkischer Offizier hätte dann auch einen Nato-Hut auf. "Es kann keinen Abschuss gegen den Willen der Türkei geben. Aber es kann auch keinen Abschuss gegen den Willen der Nato geben", sagt der Verteidigungsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Auch die Auswahl der Orte, an denen die voraussichtlich fünf Patriot-Staffeln aufgestellt werden, obliegt der Nato und nicht, wie Erdogan auch erklärt hatte, den Türken.

Quer durch die Berliner Parteien und auch im Auswärtigen Amt wird zur Gelassenheit geraten. Die Kraftmeierei aus Ankara richte sich vornehmlich an die türkische Innenpolitik, lautet die Analyse. Gleichwohl erschwere sie den Befürwortern des Einsatzes die Argumentation, ist sich Arnold mit der FDP-Expertin Elke Hoff und dem Grünen Omid Nouripour einig. "Diese Diskussion sollte man schleunigst dorthin verfrachten, wo sie hingehört: in die Abstellkammer", sagt Hoff. Und Nouripour, der dem Einsatz ohnehin skeptisch gegenübersteht, konstatiert eine "erhebliche Differenz zwischen der Rhetorik aus Ankara und dem offiziellen Stationierungsantrag an die Nato". "Da steht jetzt ein Elefant im Porzellanladen", sagt Nouripour.

© SZ vom 24.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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