Nahostkonflikt:Einheit aus der Not 

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Der Druck auf die Hamas zeigt Wirkung: Fatah-Abgeordnete reisen nach Gaza, um die Verwaltung zu übernehmen.

Von Alexandra Föderl-Schmid, München

Zum ersten Mal seit drei Jahren ist das palästinensische Kabinett von Ministerpräsident Rami Hamdallah (Mitte) in Gaza zusammengetreten. (Foto: Mohammed Abed/AP)

Es war ein riesiger Andrang: Tausende Palästinenser waren gekommen, um Ministerpräsident Rami Hamdallah im Gazastreifen zu begrüßen. Zum ersten Mal seit 2014 ist die gesamte Autonomieregierung aus Ramallah ins Westjordanland gereist. Mitgekommen sind auch der Geheimdienstchef und zahlreiche Fatah-Vertreter - insgesamt rund 120 Personen. Bei der Eröffnung der Kabinettssitzung am Dienstag bekräftigte Hamdallah seine Hoffnung, dass der jahrelange Machtkampf zwischen der radikalislamischen Hamas und der Autonomiebehörde beendet werden könne. Es wurde vereinbart, die Verhandlungen kommende Woche in Kairo fortzusetzen.

Bei diesem ersten Zusammentreffen in Gaza sollte ausgelotet werden, ob es tatsächlich zu einer Versöhnung kommen kann zwischen der Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, und der Fatah, deren Machtausübung bisher auf das Westjordanland beschränkt war. Der letzte Versuch, die nunmehr zehn Jahre andauernde Spaltung zu überwinden, ist vor drei Jahren gescheitert. Vor zwei Wochen kam dann das überraschende Versöhnungsangebot der Hamas, das die Übergabe der Verwaltung sowie baldige Wahlen beinhaltet. Bereits am Montagnachmittag traf Premier Hamdallah Hamas-Chef Ismail Haniyah und den Regionalchef der Miliz im Gazastreifen, Jahia Sinwar, der sich zur Überraschung vieler in einen Realpolitiker gewandelt hat.

Für die Fatah und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist diese Rückkehr in den Gazastreifen mehr als nur ein symbolischer Akt. "Die Regierung beginnt heute mit der Ausübung ihrer Aufgaben in Gaza", erklärte Hamdallah nach seinem Eintreffen in dem isolierten Küstenstreifen. "Wir werden wieder nach Gaza kommen, um die Teilung zu beenden und Einigkeit zu erlangen." Als Priorität gab er an, "das Leid der Menschen in Gaza zu lindern".

Abbas selbst war es, der wiederholt auf eine Auflösung des Verwaltungskomitees im Gazastreifen gedrängt hatte. Er hatte den Druck auf die Hamas in den vergangenen Monaten erhöht, indem die von ihm geführte Regierung die Gehälter für die öffentlich Bediensteten im Gazastreifen gekürzt und die Rechnungen an Israel für Stromlieferungen in dieses Gebiet nicht gezahlt hatte. So gab es zuletzt nur noch zwei Stunden Strom pro Tag. Die Lebensbedingungen für die rund 1,9 Millionen Bewohner des Gazastreifens wurden dadurch noch unerträglicher.

Die Auflösung des Verwaltungskomitees ist ein erster Erfolg für Abbas und Voraussetzung für die Bildung einer möglichen Einheitsregierung. Dass die Verhandlungen überhaupt zustande kamen, ist vor allem auf den Druck Ägyptens zurückzuführen, und auf die Isolation Katars, das seine eigenen Probleme mit Saudi-Arabien hat und bisher als Schutzmacht der Hamas agierte.

Ägypten trägt die Blockade des Gazastreifens mit. Die ägyptischen Unterhändler rangen der Hamas als Bedingung für eine mögliche Öffnung des Grenzübergangs Rafah das Zugeständnis zu Verhandlungen mit der Fatah ab. Die schlechte Versorgungslage im Gazastreifen hatte dazu geführt, dass die Hamas immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung verlor. Denn es fehlt an allem: an sauberem Wasser, an Elektrizität, an Arbeitsmöglichkeiten. Mit der formalen Übergabe der Verwaltung hat die Hamas damit auch all die Schwierigkeiten an die Autonomiebehörde delegiert. Wie rasch der Palästinenserchef für Erleichterungen sorgen kann, daran wird sich Abbas messen lassen müssen. Für die Bewohner des Gazastreifens ist das der Prüfstein dafür, wie sehr sie die Verhandlungen unterstützen und sich wieder mehr der Fatah zuwenden.

Der greise, gesundheitlich angeschlagene Abbas hatte in den vergangenen Jahren enorm an Popularität in der Bevölkerung eingebüßt. Umfragen zufolge würde die Hamas derzeit sogar im Westjordanland Wahlen gewinnen. Der Nahost-Gesandte von US-Präsident Donald Trump, Jason Greenblatt, hatte Abbas zuletzt Schwäche vorgehalten, da dieser nicht einmal die Kontrolle im Gazastreifen inne habe. Mit Mohammed Dahlan steht bereits ein möglicher Kompromisskandidat für die Abbas-Nachfolge im Hintergrund bereit. Er ist beim Palästinenserpräsidenten in Ungnade gefallen, lebt im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten und wird auch von Ägypten unterstützt.

Als Knackpunkt der Verhandlungen gilt die Frage, was mit dem militärischen Arm der Hamas geschieht. Die Kassam-Brigaden wollen ihre Waffen nicht ablegen, versichern aber, dass sie bereit seien, die Entscheidungen des politischen Flügels der Hamas zu respektieren. Wenn nur die Polizeieinheiten der Kontrolle der Autonomiebehörde unterstellt werden und die Hamas, die unter anderem von der EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestuft wird, ihre eigenen Kräfte behält, ist das ein Sicherheitsrisiko - nicht nur für Israel. Offen ist auch die Frage, wer künftig die Grenzübergänge zwischen dem Gazastreifen, Ägypten und Israel kontrolliert.

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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