Naher Osten:Wettlauf ohne Ziel

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Die Vereinigten Staaten zogen sich unter Obama zurück, Putins Russland drängt auf die Bühne: Die alte Ordnung im Nahen Osten ist in Auflösung begriffen. Die Zukunft wird von Zweckallianzen und einem neuen Konkurrenzkampf der Regionalmächte geprägt sein.

Von Paul-Anton Krüger

Die Admiral Kusnezow hatte ihre Mission vor Syrien erfüllt, aber dann gab es doch noch was zu tun. Auf dem Rückweg zum Heimathafen Seweromorsk ankerte der russische Flugzeugträger ein paar Stunden im Mittelmeer vor der libyschen Stadt Tobruk - ein in der Region aufmerksam verfolgtes Signal. General Khalifa Haftar, der starke Mann im Osten des nordafrikanischen Landes, wurde für eine Besichtigung und eine Videokonferenz mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu an Bord geholt. Offiziell sprachen die beiden über Kooperation im Kampf gegen Terroristen. Regierungsnahe Quellen in Moskau aber sagen unumwunden, worum es eigentlich ging: Um die Ambitionen Moskaus, seine Rückkehr in die arabische Welt und den Nahen Osten mit einem zweiten Standbein abzustützen. Im Gespräch seien Stützpunkte in Tobruk und Benghasi.

Libyen hatte unter Muammar al-Gaddafi beste Verbindungen zu Sowjetunion, der kaufte dort den Großteil seines Waffenarsenals. Wladimir Putin hielt es für einen Fehler, dass sein Übergangs-Vertreter im Kreml, Dmitrij Medwedjew, die westliche Militärintervention 2011 in Libyen im UN-Sicherheitsrat nicht blockierte. Auch der Ende 2015 mit breiter internationaler Unterstützung angetretenen Einheitsregierung in Tripolis ist es seither nicht gelungen, den Staatszerfall aufzuhalten und das Land zu stabilisieren - eine Chance für Moskau. Eine Änderung des von den UN vermittelten Abkommens ist ausgemacht. General Haftar wird bald in ganz Libyen der starke Mann sein - auch wenn er mit seinen 73 Jahren kaum die Zukunft verkörpert.

Russland kann die USA im Nahen Osten absehbar weder komplett verdrängen noch überflügeln. Dazu ist es weder wirtschaftlich in der Lage, noch militärisch: Das Bruttoinlandsprodukt liegt kaum über dem Spaniens. Und die Admiral Kusnezow, als Flugdeckkreuzer klassifiziert und nicht als Träger, ist das einzige Schiff dieser Art, über das die Marine verfügt. Sind die US-Trägerkampfgruppen für power projection konzipiert, also um militärische Macht in alle Welt zu tragen, wurde das russische Schiff für den Eigenschutz großer Marineverbände gebaut. Die Mission der Admiral Kusnezow vor Syrien war mehr Show als militärisch relevant, die Jets konnten nur mit halber Bombenlast starten, zwei fielen ins Meer. Die USA dagegen haben ihre Fünfte Flotte in Bahrain stationiert, nutzen Stützpunkte in Kuwait und Katar, betreiben zehn Flugzeugträger, von denen üblicherweise einer im Persischen Golf kreuzt und einer im Mittelmeer (derzeit liegen alle bis auf einen in ihren US-Heimathäfen).

Doch mit seiner Intervention in Syrien hat Russland die seit 1990 währende Dominanz der USA in der Region gebrochen. Mit dem syrischen Präsident Baschar al-Assad schloss Putin Nutzungsverträge über 49 Jahre für den Flottenstützpunkt Tartus und für den Luftwaffenstützpunkt Khmeimim bei Latakia. Die Kapazität des Hafens wird auf elf Schiffe fast verdoppelt, der Flughafen erhält eine zweite Landebahn.

Die sunnitischen Staaten verfolgen Trumps Kurs gegenüber Iran mit einer Mischung aus Wohlwollen und Sorge

Viele Länder der Region (und auch Russland) stellen sich darauf ein, dass statt althergebrachter Bündnisse zunehmend Ad-hoc-Zweckallianzen die Region prägen werden und dass sich eine multipolar geprägte Ordnung einstellt, die zumindest zunächst weniger fest gefügt ist. Der schiitische Iran konkurriert hier mit den sunnitischen Mächten Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten - und die miteinander.

Jüngstes Beispiel: Russlands Versuche, mit dem Nato-Mitglied Türkei an den USA vorbei eine Lösung für Syrien auszuhandeln. Ankara und Washington haben sich unter Obama über die US-Unterstützung für die Kurden in Syrien entfremdet, aber auch über den autoritären Regierungsstil von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, traditionell ein enger US-Verbündeter, hat Putin gute Beziehungen etabliert. Von ihm braucht sich Sisi keine Mahnungen zur schlechten Menschenrechtslage anhören. Allerdings hoffen gerade Kairo und Ankara, dass sich ihr Verhältnis zu den USA unter Donald Trump wieder bessert - sie wissen, wie es um die wahre Machtbalance steht, wenn die Amerikaner nur wollen.

Das war indes in den vergangenen Jahren die entscheidende Frage: Barack Obama hat sich bewusst für einen graduellen Rückzug entschieden. Er wollte die USA energiepolitisch unabhängig machen von dieser unruhigen Gegend, die hohen Ausgaben für die Kriege im Irak und in Afghanistan reduzieren und keinesfalls direkt in einen neuen Konflikt in Syrien verwickelt werden. Wenig spricht derzeit dafür, dass Trump beabsichtigt, dies rückgängig zu machen - mit möglichen Ausnahmen.

Die sunnitischen Staaten verfolgen mit einer Mischung aus viel Wohlwollen und leiser Sorge Trumps aggressiven Kurs gegenüber Iran. Die Golfstaaten rücken im Golfkooperationsrat enger zusammen und wollen verhindern, dass Teheran nach einem Ende des Krieges in Jemen dort entscheidenden Einfluss erhält. Auch beobachten sie mit Beunruhigung Teherans Versuch, einen schiitischen Bogen von Iran über den Irak nach Syrien und Libanon zu schlagen. Das fehlende Stück, eine Landbrücke südlich der irakischen Stadt Mossul, versuchen von Iran gesteuerte Schiitenmilizen am Rande der Offensive auf die IS-Hochburg unter Kontrolle zu nehmen.

Viel beschworen worden ist das Ende der von den Kolonialmächten etablierten Staatenordnung, die vor 100 Jahren im Sykes-Picot-Abkommen von Briten und Franzosen über die Köpfe der Araber hinweg festgelegt worden war. Tatsächlich ist nicht ausgemacht, ob Syrien und der Irak als Nationalstaaten überleben. Groß ist die Verlockung für die Kurden, ihren Traum vom eigenen Staat doch noch zu verwirklichen. Allerdings verstellt dies die Perspektive auf eine wohl weit folgenreichere Entwicklung.

Seit 1990 hatten die USA durch die Eindämmung gleich zweier Mächte, Iran und Irak, eine regionale Balance garantiert. Später haben sie selbst dieses Gleichgewicht zerstört. Erst beseitigte George W. Bush mit der Invasion im Irak den größten Gegner Irans, Saddam Hussein, und brachte in Bagdad Vertreter der schiitischen Bevölkerungsmehrheit an die Macht. Später bereitete Obama durch das Atomabkommen der Islamischen Republik den Weg zurück auf die internationale Bühne. Irans Führung hat diese Chance ergriffen ohne wie von manchen in Washington allzu optimistisch, ja fast naiv erhofft, ihre regionalen Ambitionen zu mäßigen.

Ironischerweise versuchen auch London und Paris, die entstandenen Freiräume zu füllen. Beide hofieren die Golfstaaten, Frankreich macht Ägypten Avancen, ist in Libyen und zudem im Maghreb aktiv. Offen ist auch der Wettlauf der sunnitischen Regionalmächte Ägypten, Türkei und Saudi-Arabien. Während Riad nach dem Abkommen mit Iran eine eigenständigere Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt, versucht Kairo mit dem Kauf zweier Hubschrauberträger und neuer Kampfjets seine alte Rolle als Ordnungsmacht zurückzuerlangen - ein Grund für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Saudis. Die Türkei ist in Syrien neben Russland zur Schlüsselmacht geworden, sonst aber gelähmt. Wirtschaftliche und innenpolitische Probleme bremsen alle drei Staaten und verhindern einstweilen noch, dass sich in der Region neue, klare Führungsstrukturen herausbilden.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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