Naher Osten:Anwesend und doch abwesend

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Zerstörte Häuser im östlichen Stadtteil Ansari in Aleppo, der fast völlig in Trümmern liegt. (Foto: Hassan Ammar/dpa)

Außenpolitik ohne Mitwirkung der Amerikaner ist grundsätzlich möglich, doch können Krisen dann dauerhaft gelöst werden? Das Beispiel Syrien zeigt, wie schwierig das ist.

Von Moritz Baumstieger, München

Adel bin Ahmed al-Jubeir ist ein Mann von Welt, schon allein aus beruflichen Gründen: Seit nunmehr 30 Jahren arbeitet der heute 55-Jährige im diplomatischen Dienst seines Heimatlandes Saudi-Arabien, seit 2015 vertritt er das Königreich als Außenminister. Dass al-Jubeir in dieser Zeit auch eine gewisse popkulturelle Bildung erlangt hat und anhand dieser die saudische Sicht auf die Weltlage zu erklären weiß, war bislang aber unbekannt. "Denken Sie '99 Luftballons'", forderte al-Jubeir die Experten im Publikum der Münchener Sicherheitskonferenz auf. Als Nena Anfang der Achtzigerjahre den Popklassiker schrieb, steuerte die Welt auf einen neuen Höhepunkt im Kalten Krieg zu, mit Ronald Reagan saß ein Präsident im Weißen Haus, der seine Heimat im Showbiz hatte, bevor er mit markiger Rhetorik auffiel. "Viele hatten Angst, Reagan würde die Welt in einen Dritten Weltkrieg treiben - und was kam? Abrüstungsverträge und schließlich das Jahr 1989", so al-Jubeir.

Auf die Zeiten von Ronald (Reagan) verweisen, um die Ängste vor den Zeiten unter Donald (Trump) zu zerstreuen - mit diesem Kniff versuchte sich al-Jubeir in Zweckoptimismus. Ein ganzes Wochenende lang hatten die Konferenzteilnehmer in München vor al-Jubeirs Statement schon gerätselt, was der neue Mann im Weißen Haus denn nun eigentlich will. Al-Jubeir sagte, dass Saudi-Arabien den neuen Präsidenten des engsten Verbündeten als "pragmatischen Unternehmer" einschätze, der kein Ideologe sei, als einen Partner, der den IS bekämpfen will. Über diese hoffnungsvolle Sicht Riads hinaus konnte der dem Nahen Osten gewidmete Sonntag auf der Konferenz wenig zur Erhellung beitragen. Er zeigte vor allem eines: Es ist grundsätzlich möglich, ohne die USA internationale Krisenpolitik zu betreiben - nur bleiben die Ergebnisse eben stets vorläufig.

Scheitern die Verhandlungen, könnte die mörderische Dynamik des Bürgerkriegs aufflammen

Problematisch ist diese Politik unter Vorbehalt vor allem dann, wenn eigentlich Führung und rasche Handlungen geboten wären, wie derzeit in Syrien: Die von Russland und der Türkei Ende Dezember verhandelte Waffenruhe hält, auch wenn sie äußerst brüchig ist. Bei den Verhandlungen in Astana vergangene Woche konnten sich Vertreter der bewaffneten Rebellen, des Regimes und der Garantiemächte aber nicht einmal auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen, wie die Waffenruhe überwacht werden soll. Und wenn auch die Verhandlungen in Genf scheitern sollten, wo ab dem 23. Februar Vertreter von Regime, Opposition und Rebellen unter Aufsicht der Vereinten Nationen nach einer politischen Lösung suchen sollen, droht die mörderische Dynamik des Bürgerkrieges wieder voll aufzuflammen.

Wie schnell ein eigentlich hoffnungsvoller Prozess an die Wand fahren kann, haben die in München vertretenen Akteure vor einem Jahr gesehen: Der Sicherheitskonferenz 2016 ging die Verabschiedung der Resolution 2254 im UN-Sicherheitsrat voraus, die einen Waffenstillstand und einen politischen Übergang forderte. In München dann verhandelten der damalige US-Außenminister John Kerry und sein noch amtierender russischer Kollege Sergej Lawrow eine Unterbrechung der Kämpfe, doch als die Waffenruhe nach drei Monaten zusammenbrach, scheiterten die parallel in Genf stattfindenden Gespräche ebenfalls.

Dass diese Dynamik auch andersherum greifen kann, betonte der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura: "Eine Waffenruhe kann selbst mit zwei Garantiemächten nicht lange halten, wenn es nicht gleichzeitig politischen Fortschritt gibt", meinte er. Und dieser politische Fortschritt wäre in Genf grundsätzlich möglich, wenn Regime und Rebellen endlich beide ihre "Störaktionen" unterließen. Er glaube weiter an die Resolution 2254 - "sie ist meine Bibel, mein Koran", - was er jedoch vermisse, sei eine klare Strategie der Vereinigten Staaten. "Ich warte darauf. Wo in all dem die USA stehen, kann ich bis heute nicht sagen. Ich weiß es nicht."

Dabei, so de Mistura, müsste eine neue politische Dynamik im Syrienkonflikt im Interesse Trumps sein, wenn der den IS nicht nur bekämpfen, sondern auch wirklich besiegen will: Aus früheren Kriegen wie in Afghanistan oder dem Irak habe man gelernt, dass Extremisten weiter Zulauf haben, wenn es keine politische Lösung gebe, die alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen eines Landes einbinde.

"Gott helfe den Menschen in Syrien, wenn wir warten müssen, bis Trump sich entscheidet."

Während die USA in Sachen Syrien absent sind, haben die Türkei und Russland vorläufige Fakten geschaffen. Ankara hat sich einen Sicherheitspuffer entlang der eigenen Grenze aufgebaut, Moskau hat den syrischen Machthaber Baschar al-Assad dabei unterstützt, die Metropole Aleppo wieder voll zu erobern. Nach Aussage von Konstantin Kossatschow, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des russischen Parlaments, habe Russland das nicht etwa getan, weil man den Diktator unterstütze. "Wir haben eine vollkommen neutrale Beziehung zu ihm", sagte er. Der militärische Einsatz Russlands in Syrien - "wir sind das einzige Land, das rechtmäßige Operationen durchführt" - ziele ausschließlich darauf ab, den Terror zu besiegen und einen Staatszerfall Syriens zu verhindern, wie er etwa im Irak und in Libyen geschah. Nun wolle man so viele Streitkräfte wie möglich in Syrien bündeln, um gegen den IS zu kämpfen, sagte Kossatschow - und könnte diesen Satz vor allem an den in München anwesenden US-Diplomaten Brett McGurk gerichtet haben, den Sonderbeauftragten für die internationale Anti-IS-Allianz: Dass man über die Entsendung weiterer Spezialkräfte und Truppen nach Syrien zum Kampf gegen den IS nachdenke, war eine der wenigen konkreten Ideen, die man während Trumps erstem Monat im Amt zum Krisenherd Nahost vernahm.

Dass in den nächsten drei Tagen, bevor sich ein Teil der in München anwesenden Experten in Genf wiedertrifft, eine neue, vielleicht von Washington angestoßene Dynamik entwickelt, ist kaum zu erwarten. Russland und das syrische Regime können in ihrer Position der Stärke abwarten und führen weiter kleinere Schläge gegen Rebellen und Terroristengruppen. Und auch, wenn Anas al-Abdah vom oppositionellen Syrischen Nationalrat die Bereitschaft zu einer Lösung betonte, scheuen viele Rebellen Verhandlungen, solange sie in der Position militärischer Schwäche sind. Und die USA? Sind weiter auf der Suche - und nicht alle sehen die Lage so optimistisch wie der Nena-zitierende saudische Außenminister. "Gott helfe den Menschen in Syrien", sagte Kenneth Roth, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in München, "wenn wir warten müssen, bis Donald Trump sich entscheidet."

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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