Nach dem dritten TV-Duell:Obamas Rezept

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Es wird immer klarer: Wenn nicht noch Unvorhergesehenes geschieht, wird Barack Obama der nächste US-Präsident - auch weil sein Gegner politischen Selbstmord begangen hat.

Reymer Klüver

So nicht. Auch die letzte der drei Fernsehdebatten hat nichts an der grundlegenden Dynamik des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs geändert. John McCain, der Republikaner, wird seinen Rückstand kaum mehr wettmachen, selbst mit einem Schmierenwahlkampf nicht.

Hat im Moment gut lachen: Barack Obama. (Foto: Foto: Reuters)

Barack Obama dürfte gewinnen. Wenn nicht noch Unvorhergesehenes passiert -ein unbegreiflicher Fehler des Kandidaten, ein Terroranschlag, die wundersame Erholung der Wirtschaft über Nacht - stehen die USA vor der Zeitenwende: Die Amerikaner werden der Welt beweisen, dass ihr Land noch immer die Kraft zur Selbsterneuerung hat, auch oder gerade in der Krise.

Vorsprung wird dahinschmelzen

Gewiss, es sind noch zweieinhalb Wochen bis zum Wahltag. In der Politik ist das eine halbe Ewigkeit, in Präsidentschaftswahlkämpfen eine ganze. Viel kann da noch passieren. Obamas Vorsprung wird dahinschmelzen. Das Ergebnis wird knapper ausfallen, als es jetzt den Anschein hat.

Das erwarten nicht einmal Obamas Wahlstrategen anders. Sie gehen nicht davon aus, dass ihr Kandidat bei der Wahl tatsächlich die Mehrheit der Männer mit weißer Hautfarbe gewinnen wird - deren Beifall ihm jetzt einen zweistelligen Vorsprung in den Umfragen verschafft. Aber sie glauben, dass Obama die Zustimmung der Frauen gefunden hat. Und sie hoffen, dass die so aufwendig mobilisierten neuen Wähler - die jungen Leute, die Schwarzen - am Ende auch wirklich wählen gehen.

Bis zum Wahltag wird sich an der Grundstimmung im Land ohnehin nichts ändern: 10.000 zwangsversteigerte Häuser am Tag, die kranken Banken, die Kurseinbrüche an der Börse, die Rezessionsängste - die Amerikaner sind zutiefst verunsichert. In solch wirtschaftlichen Krisenzeiten setzen sie eher auf die Demokraten als auf die Republikaner.

Wahlentscheidend aber dürfte eine andere Dynamik werden: Die Zweifel der Amerikaner, vor allem der Wechselwähler in der Mitte, an der Person Obama schwinden. Der Unbekannte, der Mann mit dem fremdländisch klingenden Namen, flößt keine Furcht mehr ein. Die Zweifel über McCain aber, der vermeintlich bekannten Größe, sie wachsen.

John McCain hat sich eine Reihe taktischer Fehlentscheidungen geleistet. Sein Entschluss, den Wahlkampf zu unterbrechen, um in Washington die Finanzkrise zu beheben, war ein Theatercoup. So etwas merken die Menschen. Sie nehmen es übel, wenn sie verschaukelt werden sollen.

Missgriff Sarah Palin

Seine buchstäblich über Nacht gefällte Entscheidung, Sarah Palin zu seiner Vizekandidatin zu machen, entpuppte sich als Missgriff. Nach ein paar Tagen der Euphorie über das frische Gesicht haben die Amerikaner sehr schnell gemerkt, dass Palin nicht über den Horizont verfügt, im Falle des Falles ihre Präsidentin zu werden. Das schreckt viele nicht nur ab, das bringt sie gegen McCain auf: Zu offensichtlich ist, dass er allein die Mobilisierung der eigenen Klientel im Auge hatte - danach die Sintflut.

Den folgenreichsten Fehler beging McCain aber im Sommer, als er seinen lahmenden Wahlkampf den Leuten überließ, die ihr Handwerk im Kampagnen-Team George W. Bushs erlernt hatten. Sie sollten Obama systematisch auseinandernehmen mit haltlosen Behauptungen und Gerüchten, genauso wie sie McCain selbst vor acht Jahren in den Vorwahlen verunglimpft hatten oder vier Jahre später John Kerry. Wahlkampf per Charaktermord.

Auf der nächsten Seite: Womit Barack Obama die US-Wähler beeindruckt hat.

Wahlkampf in den USA
:Was sie wirklich wollen

Der eine ist weiß, der andere schwarz. Der eine alt, der andere jung. Doch wie unterscheiden sich Barack Obama und John McCain in ihren politischen Zielen?

Doch die Rechnung geht diesmal nicht auf. Je schmieriger der Wahlkampf, desto mehr Schaden an der in Jahren gepflegten Marke McCain: Der Kämpfer mit offenem Visier, der integre Dickkopf macht sich selbst unglaubwürdig. Das nennt man politischen Selbstmord.

Zu allem Überfluss haben McCains haltlose Helfer Chaos verbreitet. Sie haben ihrem Kandidaten Botschaft über Botschaft aufgeladen. Zuerst nannte McCain den Konkurrenten Obama unerfahren, dann unzuverlässig. Nun soll er ein

Bemerkenswerte Standhaftigkeit

Sicherheitsrisiko sein, weil er Bekanntschaft mit einem einstigen Terroristen pflegte. Der Eindruck, den das alles hinterlässt: McCain ist ein alter Grantler, weiß nicht, was und wohin er will. In Zeiten der Krise aber will der Wähler Verlässlichkeit.

Barack Obama hingegen hat gleich zweimal bemerkenswerte Standhaftigkeit bewiesen. Zum einen beeindruckt die Systematik, mit der er seine Wahlkampagne aufgebaut hat. Staaten wie Ohio, Florida oder Colorado, in denen diese Wahl entschieden wird, überzog er mit einem Netz hochmotivierter Helfer. Dem hat McCain nichts entgegenzusetzen. In Florida müssen die Republikaner den Helfern zwölf Dollar die Stunde zahlen, Obama greift auf Zehntausende Freiwillige zurück.

Zum Zweiten zeigt sich Obama von all den Ratschlägen und Einflüsterungen unbeeindruckt. Daran mangelt es auch bei ihm nicht, aber er setzt seinen Kurs unbeirrt fort. In den hektischen Krisentagen der vergangenen Wochen strahlte der Kandidat enorme Ruhe und Gelassenheit aus, im Gegensatz zum nervösen McCain. Das beeindruckt die Amerikaner. Obama trauen sie eher zu, die Probleme ihres Landes zu lösen. Es müsste schon Erstaunliches geschehen, dass Barack Obama dieses Vertrauen vor der Wahl noch verspielt.

© SZ vom 17.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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