Musik:Ode an die Politik

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In Bayreuth hat erstmals ein Regisseur jüdischer Abstammung eine Wagner-Oper auf dem Grünen Hügel inszeniert. Das lässt sich als Botschaft verkaufen - und passt in eine Zeit, in der Musik als Medium des politischen Kampfes wiederentdeckt wird.

Von Andrian Kreye

Zweifellos war es eine Sensation und ein Politikum, dass in der vergangenen Woche Barrie Kosky als erster Regisseur jüdischer Abstammung in der 141-jährigen Geschichte der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele eine Oper auf dem Grünen Hügel inszenierte. Die Webseite der Festspiele verkündete nach der Premiere etwas boulevardesk: "Freispruch für Richard Wagner". Kosky hatte die Schlussszene in den Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse verlegt, in dem sich dann die mittelalterlichen Meistersinger ihren Wagner zurückerobern.

Es wäre Fans schon lange lieb, wenn der historische Ballast auf Wagners Musik endlich aus der Gegenwart in die Geschichtsbücher verschwinden könnte. Das wird dauern. Zwar war Richard Wagner die extreme Ausnahme des Grundsatzes, dass Musik nicht politisch sein kann, nur die Musiker und Komponisten selbst. Wagner wird heute jedoch in einer Zeit rezipiert, in der es einen dauernden Anspruch an die Künste gibt, sich politisch zu positionieren.

Politisch waren Wagners Werke aus sich heraus selten. Ihre Umdeutung in den Dreißigerjahren zeigt vor allem, wie tiefgründig die Nazis Deutungshoheiten bis in das Gefühlsleben hinein für sich beanspruchten. Der Missbrauch der Musik Wagners und der Klassikszene ist aber auch der Bruch mit der Regel, dass Musiker, wenn schon, für Frieden und Freiheit stehen. Das große Vorbild dafür war damals der Cellist Pablo Casals. Der weigerte sich, nach der Oktoberrevolution in der Sowjetunion aufzutreten, nach der Machtergreifung in Deutschland und nach Francos Putsch auch in seinem Heimatland Spanien. Doch in seinen Bach'schen Cello-Suiten wird man nichts Politisches aufspüren.

Dirigenten müssen keine Reden halten, um Botschaften zu senden

Heute ist es nicht mehr so einfach, Politik und Musik zu trennen. Selbst in der an sich wertfreien Klassik reichen oft schon Gesten, um ein Konzert mit Botschaften aufzuladen. Man muss gar keine Brandreden halten, wie es Dirigent Daniel Barenboim bei den Londoner "Proms" vor zwei Wochen tat. Am Abend zuvor hatte der Pianist Igor Levit im selben Rahmen bei seiner Zugabe ein paar Takte aus Beethovens "Ode an die Freude" gespielt. Weil diese Passage aus der Neunten Sinfonie aber die Europa-Hymne ist, war die Anti-Brexit-Botschaft deutlich.

Diese Tradition der abstrahierten politischen Botschaften stammt eigentlich aus den Gegenkulturen der Nachkriegsjahre. Der Jazzsaxofonist John Coltrane spielte beispielsweise auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung im amerikanischen Fernsehen Soli im Duktus von Martin-Luther-King-Reden. Zu der Zeit formierte sich auch eine politische Bewegung, die in der Musik das ideale Medium fand, um Botschaften zu verbreiten. Musiker wie Bob Dylan, James Brown oder John Lennon verstanden sich immer auch als politische Kämpfer.

Nun formieren sich Gegenbewegungen heute nicht mehr auf Festivalbühnen, sondern im Internet, und der "Summer of Love" der Hippies jährt sich gerade zum 50. Mal. Doch der rebellische Gestus und der Anspruch, für das Gute zu kämpfen, haben sich hartnäckig gehalten. Das macht es Musikern bis heute schwer, auf einer reinen Künstlerrolle zu bestehen.

So griff der Ex- Pink-Floyd-Bassist Roger Waters Thom Yorke und dessen Band Radiohead heftig an, weil sie trotz Boykottaufrufen Mitte Juli in Israel spielten. Yorke verteidigte sich: "Musik sollte Herzen öffnen, nicht verschließen." Viele ließen Yorkes Ausflüchte nicht gelten. Pop hat politisch zu sein. Es mag ein weiter kultureller Weg von Wagners Opern zu Radioheads Weltschmerz sein. Eines ist ihnen gemeinsam - wird Musik erst einmal politisch besetzt, lässt sie sich nur schwer befreien. Deswegen wird es so bald auch keinen Freispruch für Richard Wagner geben.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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