Missbrauch:Und die Eltern?

Nicht nur die Kirche ist an den Taten bei den Domspatzen schuld.

Von Andreas Glas

Keine drei Jahre ist es her, da sprach der frühere Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller noch von Einzelfällen. Spätestens jetzt weiß man: Es waren keine Einzelfälle, es waren systematische Angriffe auf Schutzbedürftige. Bis zu 700 Kinder sollen bei den Regensburger Domspatzen über Jahrzehnte hinweg körperlich und sexuell missbraucht worden sein, von mehr als 40 Priestern und Lehrern. Was ein unabhängiger Gutachter nun öffentlich gemacht hat, rückt nicht nur die Kirche in ein schlechtes Licht - es entlarvt auch die Eltern als Teil eines perfiden Systems.

Nicht alle Eltern, natürlich nicht. Die Kinder wurden unter Druck gesetzt, zu Hause den Mund zu halten. Aber nachweislich gab es Eltern, die von den Zuständen in den Schulen und im Internat der Domspatzen gewusst, aber nichts unternommen haben. Manche, weil sie die Haltung der Kirche teilten, dass Prügel zur Erziehung gehören. Andere vielleicht deshalb, weil sie die Karriere ihres Kindes nicht gefährden wollten. Weil sie unbedingt wollten, dass ihr Kind etwas Besonderes bleibt - und damit auch sie selbst.

Was für Regensburg gilt, muss wohl überall gelten, wo Kirchenleute Kinder misshandelt haben: Weil es stumme Mitwisser gab, konnten die Taten so lange unbemerkt bleiben. Dass die Mitwisser in manchen Fällen Mama und Papa hießen, gehört zu den bittersten Erkenntnissen des Gutachtens - aber diese Erkenntnis muss genauso öffentlich gemacht werden wie die Sünden der Kirche.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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