Miss America:Die Bikini-Revolution

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Die Bewerberinnen müssen keine Bademode mehr tragen. Ein Fortschritt? Durch die Hintertür von #Meetoo kehrt die alte Prüderie in die USA zurück. Es bleibt der heimliche Sexismus, der schon immer der tückischere war.

Von Tanja Rest

Eigentlich hätte man auch selbst draufkommen können: Sechs Jahre, nachdem die Bild-Zeitung das Seite-1-Mädchen vor die Tür setzte, zwei Jahre, nachdem der US- Playboy die eigenen Nackten zensierte, drei Monate, nachdem Lara Croft auf die Leinwand zurückkehrte, nun aber mit kleineren Brüsten - schafft die Miss-America-Organisation die Bikinirunde ab. Das ist erstens logisch und zweitens erst mal ziemlich egal. Wer hätte dieses Format je ernst genommen, dessen ausschließliche Aufgabe darin besteht, einmal jährlich das immer gleiche Bild durch die Fotoagenturen zu spülen: die mal blonde, mal brünette, einen vor 30 Jahren aus der Mode gekommenen Frauentypus illustrierende Miss America, der das unwahrscheinliche Kunststück gelingt, im Augenblick ihres Triumphes Tränen der Überwältigung zu vergießen, während sie zwei Reihen frisch gebleachter Zähne zu einem Lächeln entblößt.

Am 9. September wird exakt dieses Foto aus Atlantic City wieder an die Welt verschickt werden. Aber diesmal wird die Welt wissen, dass Holly aus Texas oder Shannon aus Idaho die Zumutungen der Bikinirunde erspart geblieben sind, ja, Holly und Shannon müssen nicht mal mehr schlank sein! Vom Ansatz her ist das nahezu niedlich. Fast so, als würde Heidi Klum ihre Model-Sendung fürderhin im Fatsuit moderieren oder Harvey Weinstein den Bademantel aushändigen, bevor er amtlich geläutert wieder auf die Besetzungscouch entlassen wird. Irritierenderweise ist es aber so: Sexismus bleibt Sexismus bleibt Sexismus - am Ende pappt auf der kosmetisch optimierten Message eben immer noch der Playboy-Hase oder das Miss-America-Krönchen drauf.

Zurück bleibt der heimliche Sexismus, der schon immer der tückischere war

Konsequent wäre es gewesen, wenn die Strippenzieherinnen des "Miss America"-Theaters die Abschaffung desselben beschlossen hätten. Was vielleicht sogar die eigentliche Nachricht ist: Im Kuratorium des 1921 geborenen Schönheitswettbewerbs, der offiziell kein Schönheitswettbewerb mehr sein will, sitzen seit Kurzem ausschließlich Frauen. Die Frauen haben nicht nur beschlossen, dass der Bikini nicht mehr tragbar ist, die Kandidatinnen sollen anziehen dürfen, "was immer sie wollen". Man mag sich die Verzweiflung zu Hause vorm Spiegel lieber nicht vorstellen: Nehme ich jetzt die Jogginghose, in der ich abends auf dem Sofa lümmele, aber noch nie das Haus verlassen habe? Oder doch besser das Halterneck-Kleid, das jede Faser meines Hammerkörpers herausarbeitet, aber die Feministinnen in der Jury erzürnen könnte?

"Wir erleben in unserem Land eine kulturelle Revolution, bei der Frauen den Mut finden aufzustehen und sich in vielen Bereichen Gehör verschaffen." Das hat die Miss-America-Vorsitzende Gretchen Carlson ernsthaft zu Protokoll gegeben. Tatsächlich ist #Metoo nur das Hintertürchen, durch das die alte Prüderie wieder hereintrippelt, die insbesondere Amerika nie ganz los geworden ist. Wenn das so weitergeht, wird der weibliche Körper quadratzentimeterweise indiziert, natürlich zu seinem eigenen Besten: Kein lüsterner Blick kann ihn mehr treffen. Dann bleibt nur noch der heimliche Sexismus übrig, der schon immer der tückischere war, weil er eben nicht so hilfreich ist, den Frauen zum Ausweis seiner selbst in den Ausschnitt zu gaffen. "Keine Ahnung, was ihr habt", werden die heimlichen Sexisten sagen und einen aus großen Augen anschauen, "es hat sich doch so viel zum Guten verändert. Denkt nur mal an Miss America!"

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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