Militäreinsätze:Berlin und Paris spielen Avantgarde

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Eine deutsch-französische Initiative soll die Sicherheitspolitik der EU umstrukturieren.

Von Stefan Kornelius, München

Die Geschichte der europäischen Verteidigungspolitik ist kurvenreich und steht vor allen Dingen in Konzepten. Unzählige Strategen und Planer schreiben seit Jahrzehnten Memoranden, wie die Europäische Union besser zusammenarbeiten könnte. Viele Jahre lang scheiterte die Kooperation am Widerstand der USA, die eine Konkurrenz zur Nato befürchteten. Und als sich EU und Nato nun bestens verstanden, blockieren die Briten: Zuhause ließe es sich nicht verkaufen, wenn die Königlichen Streitkräfte einem Befehl aus Brüssel folgen müssten.

Der Brexit hat die Situation nun schlagartig geändert. Britischen Widerstand wird es nicht mehr geben, auch wenn London formell noch der EU angehört. In Windeseile haben deshalb zwei Staaten ihre Chance erkannt: Deutschland und Frankreich lassen ihren europäischen Gründergeist aufblitzen und spielen Avantgarde. Die Verteidigungsminister Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian haben einen Plan verfasst, der anders als seine Vorläufer nicht in den Akten verschwinden könnte. Es geht um Effizienz, neue Verfahren und mehr militärische Bewegungsfähigkeit.

Beim Einsatz vom Militär, mithin bei Fragen von Leben und Tod, ist die nationale Souveränität für alle Staaten in der EU heilig, gerade auch für Deutschland und sein Parlament. Aber jenseits der harten Einsatzentscheidung gibt es unzählige Möglichkeiten, die teuren und sensationell redundanten Streitkräfte des europäischen Kontinents besser zu strukturieren und effektiver zu führen.

Der deutsch-französische Vorstoß mit dem Namen "Neubelebung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" füllt also eine Marktlücke, die sich mit dem bevorstehenden Abschied der Briten öffnet: Es geht um Führungsstrukturen, gemeinsame Kommandos, Beschaffung, Verfahrensregeln, Haushaltstransparenz und vieles mehr. An erster Stelle, aber dennoch als "mittelfristiges Ziel", wird eine permanente EU-Planungs- und Führungseinheit, also ein europäisches Hauptquartier genannt. Das ist nicht neu, Pläne dafür gibt es schon lange. Allerdings braucht es für die Idee neuen politischen Schub. Den soll jetzt der Europäische Rat am kommenden Donnerstag in Bratislava liefern.

Neu und überraschend ist hingegen der Vorschlag, die europäischen Satelliten-Kapazitäten zu bündeln und auch militärisch nutzbar zu machen. Es geht um das sogenannte Lagebild, vor allem bei Einsätzen auf See. Da fehlen den europäischen Verbänden schlicht Informationen, die andere europäische Institutionen wie das "Composante Spatiale Optique", die Aufklärungs-Satelliten der Franzosen, oder das deutsche Satelliten-System SAR liefern könnten.

Für die Offiziersausbildung könnte sogar eine gemeinsame Schule geschaffen werden

Vorgeschlagen wird auch ein europäisches Lufttransportkommando und ein sogenanntes Medical Command, ein Sanitätskommando, einzurichten. Lufttransport und medizinische Versorgung gehören zu den Engpass-Fähigkeiten der europäischen Militärs. Mögliche Missionen, etwa in Afrika, scheitern häufig daran, dass für die medizinische Versorgung der Soldaten nicht gesorgt werden kann. Die Bündelung von Kräften und eine enge Verzahnung würden die EU unabhängiger machen.

Auch für die Offiziersausbildung soll nach dem Willen von Frankreich und Deutschland eine europäische Plattform geschaffen werden - entweder durch die Verzahnung der Lehrgänge der nationalen Offiziersschulen, oder gar durch eine gemeinsame europäische Schule.

Die Planer in Berlin und Paris haben sich auch die EU-Regularien und Verfahren angesehen, die jetzt bereits einer besseren Integration im Weg stehen. Obwohl die Vorschläge an alle 27 EU-Staaten (ohne Großbritannien) gehen, wollen Deutschland und Frankreich jenen Artikel aus dem Lissabon-Vertrag aktivieren, der eine "ständige, strukturierte Zusammenarbeit" einzelner Staaten erlaubt. Die unter dem Akronym Pesco gefasste Idee läuft auf ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten heraus. Obwohl in vielen politischen Bereichen bereits üblich, war die Verteidigung aus Rücksicht auf britische Befindlichkeiten ausgenommen. Das soll sich nun ändern.

Wichtig wäre auch der Änderungsvorschlag für die Finanzierung der Einsätze. Bisher gilt die Regel, dass jeder Staat für seine eigenen Kosten bei einem Einsatz aufkommen muss. Ließe sich die EU auf die neuen Ideen ein, würde es zu einer neuen Finanzierung nach dem sogenannten Athener-Mechanismus kommen, einem speziellen Kostenschlüssel.

Konflikte sind absehbar, etwa bei der Frage, wie Afrika unterstützt werden soll

Viele Vorschläge, wie die Stärkung eines EU-Hauptquartiers oder die Aufstockung des Eurocorps liegen seit Jahren bereits in der Schublade, wurden aber wegen anderer Krisen nicht umgesetzt. Nach dem Willen von Deutschland und Frankreich soll sich das nun ändern. Europa, so die gemeinsame Analyse nach dem Brexit, braucht einen positiven Schub, und den soll diesmal die Sicherheitspolitik liefern.

Konflikte sind auch schon absehbar, etwa beim Punkt Unterstützung afrikanischer Staaten. Da wollen Paris und Berlin EU-Gelder zur Stabilisierung gefährdeter Staaten auch für militärische Zwecke eingesetzt sehen, "im Gebiet der Verteidigung", wie es in dem Papier heißt. Unterstützung für afrikanische Staaten kommt bisher aus mindestens vier Töpfen, etwa dem Nothilfe-Fonds oder der African Peace Facility. Die werden sich gegen eine neue Verwendung sträuben.

Eine Seite widmen die deutsch-französischen Planer der Verteidigungsindustrie. Bestärkt wird der Wunsch nach der Entwicklung einer europäischen Drohne, einer Luftbetankung und einer gemeinsamen Cyber-Abwehr. Budgetpläne sollen besser aufeinander abgestimmt und 20 Prozent der Haushalte für Investitionen genutzt werden.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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