Medizin:Schön teuer

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Der Bundesrechnungshof macht den Kieferorthopäden in Deutschland Vorwürfe: Die meisten ihrer Therapien seien medizinisch unnötig, sie dienten nur der Ästhetik. Die Behörde ruft das Gesundheitsministerium zum Handeln auf.

Von Werner Bartens, München

Kieferorthopäden sind teuer. Für die zwei bis vier Jahre währenden Behandlungen verlangen sie bis zu 6000 Euro oder gar mehr. Selbst wenn die Krankenkassen den Großteil der Kosten für Klammern, Spangen und andere Korrekturen des Gebisses übernehmen, summiert sich der Anteil, den Versicherte selbst zu tragen haben, schnell auf 1000 Euro.

Dieses Geld können sich Patienten wie Kassen womöglich sparen. Der Bundesrechnungshof kritisiert in einer Stellungnahme zum Etat des Bundesgesundheitsministeriums mit deutlichen Worten, dass der Nutzen der Klammern und Spangen nicht belegt ist. "Ziel und Erfolg kieferorthopädischer Behandlungen sind nur unzureichend erforscht", so das vernichtende Urteil. "Die fehlende Transparenz kritisierten der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information schon vor Jahren." Das Bundesministerium für Gesundheit ging dem allerdings bis heute nicht nach.

Wie oft in der Medizin in Deutschland werden konkrete Zahlen und Einblicke in die Versorgung seitens der ärztlichen Fachverbände und Organisationen nicht transparent gemacht. Krankenkassen geben jedes Jahr 1,1 Milliarden Euro für die kieferorthopädische Behandlung aus, schätzungsweise die Hälfte aller Kinder wird regelmäßig behandelt. "Ministerium und Krankenkassen haben kaum Einblick in das konkrete Versorgungsgeschehen", kritisieren Experten des Bundesrechnungshofes. "Aber die Kosten pro Patient haben sich von 2008 bis 2016 ungefähr verdoppelt."

Zwar kann es ästhetische Gründe geben, die Zähne begradigen zu lassen. "Medizinisch sind die Eingriffe aber oft unnötig. Um die entscheidende Frage, ob die Behandlung überhaupt indiziert ist, drücken sich die meisten Kieferorthopäden", sagt Jens Türp, Professor für Zahnmedizin an der Universität Basel und Sprecher des "Deutschen Netzwerks evidenzbasierte Medizin" dazu. Türp zeigt in seinen Vorlesungen Bilder des Schauspielers Fernandel ("Don Camillo") und des Fußballers Franck Ribéry; mit erstaunlich ähnlich schiefen Zähnen und Fehlstellungen im Gebiss. "Beide hätten die Möglichkeiten gehabt, das korrigieren zu lassen - haben es aber nicht gemacht, weil es medizinisch nicht nötig ist", sagt der Zahnmediziner. Spricht er Kollegen darauf an, bekommt er immer wieder zu hören, dass 90 Prozent der Behandlungen allenfalls aus kosmetisch-ästhetischen Gründen zu rechtfertigen wären, nicht aus medizinischen. Offiziell wolle das jedoch kein Kieferorthopäde zugeben. "Dann soll man aber bitte von einem Verhältnis zwischen Kunde und Dienstleister reden - und nicht von Arzt und Patient", sagt Türp.

Die Gründe, mit denen Kieferorthopäden Eltern einreden, dass ihre Kinder dringend eine Klammer oder andere Korrekturbehandlungen bräuchten, seien nicht stichhaltig oder widerlegt, kritisieren Experten seit Jahren. "Da wird mit Knacken, Knochenschmerzen, späterem Fehlbiss, Kopfweh und Arthrose Angst verbreitet", sagt Zahnmediziner Türp. "Dann stimmen Eltern schnell zu, dabei stimmen die Argumente gar nicht. Arthrose gibt es im Kiefergelenk beispielsweise gar nicht."

Der Rechnungshof verlangt nun, dass das Gesundheitsministerium handelt. Es solle "eine Versorgungsforschung im Bereich Kieferorthopädie anstoßen", schreibt er. Dazu gehöre, "dass den Versicherten fundierte und verständliche Informationen über kieferorthopädische Selbstzahlerleistungen zugänglich sein sollten. Hierfür muss deren Nutzen wissenschaftlich evaluiert werden."

© SZ vom 25.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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