Medizin:Die Angst vor dem nächsten Skandal

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In Deutschland werden so wenige Organe gespendet wie nie zuvor. Nun zeigt eine Untersuchung von Kieler Medizinern: Das liegt weniger an der mangelnden Bereitschaft als an den Ärzten.

Von Christina Berndt, München

In Deutschland werden so wenig Organe gespendet wie nie zuvor. Doch das liegt nicht an der mangelnden Bereitschaft der Bevölkerung, wie häufig behauptet wird. Vielmehr bemühen sich die Ärzte in den Krankenhäusern seit dem Transplantationsskandal von 2012 weniger darum, Organspenden zu realisieren. Das geht aus einer Analyse hervor, die ein Team um Kevin Schulte und Thorsten Feldkamp vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein im Deutschen Ärzteblatt  vorstellt.

Die Mediziner stellen fest: Die Zahl der potenziellen Organspender ist zwischen 2012 und 2018 sogar gestiegen (von 23 700 auf 27 300). Doch die Kliniken haben Patienten, die einen vollständigen Hirnfunktionsausfall ("Hirntod") erlitten haben, seltener an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet (nur 8,2 Prozent statt 10,9 Prozent der Fälle). Zugleich standen die Angehörigen einer Organspende gleichbleibend aufgeschlossen gegenüber: Die Ablehnungsquote blieb mit etwa 60 Prozent konstant.

Seit dem Skandal fragen Ärzte offenbar nicht mehr gerne nach Organen, folgert Studienautor Schulte. Dabei müssen sie gar nicht häufiger mit dem Unwillen der Angehörigen rechnen, wie auch eine aktuelle Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) vom Juni zeigt: Demnach ist die Zustimmung der Bevölkerung zur Organspende sogar gewachsen - von 78 Prozent im Jahr 2012 auf nunmehr 84 Prozent. Der effektivste Weg aus dem Spenderorganmangel sei es deshalb, die Strukturen in den Kliniken zu verbessern, folgern Schulte und Feldkamp.

Doch die Diskussion beherrschen andere Vorschläge. So haben der Deutsche Ärztetag und führende Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach (SPD) die Einführung einer Widerspruchslösung gefordert. Demnach wäre jeder Deutsche ein Organspender - es sei denn, er formuliert zu Lebzeiten einen Widerspruch.

Die Regierung will Organspenden fördern, so steht es im Koalitionsvertrag

Dass dies zu mehr Organspenden führen wird, darf angesichts der Daten aus Kiel bezweifelt werden: Wenn Ärzte potenzielle Spender lieber beerdigen, als Angehörige nach Organen zu fragen, wird die Widerspruchslösung nichts bringen. Womöglich richtet sie sogar Schaden an, weil die Diskussion Vertrauen zerstören kann. Das befürchtet der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Eine solche Debatte müsse "mit großer Sensibilität" geführt werden, sagt er.

Die große Koalition, die sich eine Förderung der Organspende in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, setzt deshalb lieber auf andere Maßnahmen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will in seinem für den Herbst angekündigten Gesetzentwurf vor allem zweierlei umsetzen: eine bessere Vergütung der Organspende für die Krankenhäuser und die Freistellung von Transplantationskoordinatoren in den Kliniken, die sich um die Realisierung von Organspenden kümmern sollen.

Dass die zweite Maßnahme fruchten könnte, darauf weisen auch die Daten aus Kiel hin. Geld aber spielt wahrscheinlich keine so große Rolle. Denn während manche Kliniken regelmäßig Organspender melden, kümmern sich andere auffallend wenig. Die Zahl der realisierten Organspenden unterscheide sich selbst zwischen Universitätskliniken um den Faktor 20, sagt Schulte. "Offenbar ist der Stellenwert der Organspende in den Entnahmekliniken sehr unterschiedlich."

Mit mehr ärztlichem Engagement wäre viel zu erreichen: Allein dadurch, dass alle potenziellen Organspender gemeldet und ihre Angehörigen gefragt werden, könnte die Zahl der Spender sich von zehn auf 30 pro Million Einwohner verdreifachen. Das wäre in etwa so viel wie bei den europäischen Spitzenreitern Spanien und Kroatien.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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