Medienwandel:Wert der Werke

Lesezeit: 3 min

Dass die US-Telekommunikationsfirma AT&T den Medienkonzern Time Warner kauft, ist mehr als eine Firmenfusion: Inhalte und Qualität werden im Internetgeschäft nun wichtiger.

Von Andrian Kreye

Firmenfusionen sind für den Normalverbraucher in der Regel wie abstrakte Katastrophen in fernen Weltgegenden. Jeder weiß, dass solche Vorgänge Arbeitsplätze kosten, dass Monopolisierung nichts Gutes sein kann und dass da Machtkämpfe toben, die sich nicht in zwei Sätzen erklären lassen. Merken wird man davon nichts. Wenn also AT&T als eine der drei großen amerikanischen Telekommunikationsfirmen mit Time Warner einen der weltweit größten Medienkonzerne kaufen darf, werden die Auswirkungen erst spät und kaum spürbar bei Fernsehzuschauern, Kinogängern und Comic-Lesern ankommen.

Trotzdem geht es bei dieser bisher größten geplanten Firmenfusion des Jahres um weit mehr als um Marktmacht, Wachstumsmodelle und - in diesem Falle - die Verteilung amerikanischer Breitband-Frequenzen. Es geht um die Frage, ob sich damit ein Medienwandel zementiert, den die Verbraucher selbst antreiben. Weil sie davon zum einen profitieren. Und weil sich zum anderen der Massengeschmack in den vergangenen Jahren mit diesem Medienwandel erstaunlich weiterentwickelt hat. Man muss sich nur mal ein paar alte Serienlegenden wie "Dallas", "Flipper" oder "Bonanza" im Vergleich mit aktuellen Welterfolgen wie "Game of Thrones", "Girls" oder "Veep" ansehen. Das sind Qualitätsfragen, die man durchaus objektiv beantworten kann.

Die Gratiskultur des Internets endet - das nutzt der Qualität

Letztere sind übrigens drei Produktionen des amerikanischen Kabelsenders HBO, der nach der Fusion zu AT&T gehören würde. HBO geht es zwar im Moment nicht so gut, weil auch die Konkurrenz von Kabelsendern wie FX über den Filmverleih Netflix bis hin zum Versandhaus Amazon inzwischen hervorragende Serien und Filme produziert. Aber genau davon profitiert man ja als Zuschauer.

All das läuft auf die Erkenntnis in den Konzernzentralen hinaus, dass Inhalte viel wert sind. Warum sollte sich ein Telekommunikationsgigant sonst heillos verschulden - um grob vereinfacht - einen TV-Sender, ein Filmstudio und einen Comicverlag zu kaufen? AT&T ist nicht einmal der erste. Konkurrent Comcast hat schon den Fernsehsender NBC übernommen, zu dem die Universal-Filmstudios gehören. Wenn aber Konzernchefs und der Aktienmarkt umdenken, können die Auswirkungen gewaltig sein. Das verleitet zur Hoffnung, dass sich der sogenannte Geburtsfehler des Internets revidiert.

Inhalte waren in den digitalen Industrien bisher nur Schmierstoff, der Glasfasernetzwerke und Rechnersysteme am Laufen hielt, für die man bezahlen musste. Texte, Bilder, später auch Musik und Videos waren im Netz bisher immer Gratisbeigaben. Die Nutzer profitierten davon. Draufzahlen mussten die Medienindustrien, aber auch all die Menschen, die im Jargon der digitalen Welt "content provider" heißen, also Inhaltslieferanten wie Journalisten, Musiker und Filmemacher.

Nun sind die neuen Industriegiganten der Gegenwart aber zu einem guten Teil mit Inhalten zu ihrer Größe gekommen. Apple eroberte das Musikgeschäft und Amazon den Buchmarkt zunächst noch mit neuen Vertriebswegen. Amazon geriert sich inzwischen als Serienstudio und Verlag. Apple hatte gegen AT&T für Time Warner geboten. Der Filmverleih Netflix konnte zu einer ernsthaften Bedrohung für Hollywood werden, als er Serien und Filme produzierte, die besser waren. Und auch Firmen wie ABC/Google und Facebook sind letztlich in die Oberliga der wertvollsten Firmen der Welt aufgestiegen, weil sie Inhalte anbieten. Auch wenn diese bisher noch anarchisch und von Nutzern selbst fabriziert sind.

Wenn aber Inhalte nicht mehr bloße Schmierstoffe für Netzwerke sind, die AT&T anbietet, oder für Rechner, die Apple produziert, heißt das dann, dass sie wieder so aufgewertet werden, dass die alten Geschäftsmodelle der Kulturproduktion erneut funktionieren? Das ist eine ökonomische Frage, die sich kurzfristig nicht beantworten lässt. Eines ist jedoch sicher: Wenn Konzerne anfangen, mehr Geld für die Produktion der sogenannten Inhalte auszugeben als für die Entwicklung neuer Vertriebssysteme und Abspielgeräte, dann wird die Qualität steigen. Sicher ist Geld nicht der einzige Grund dafür, dass eine Serie, ein Film, ein Comic-Heft gelingen. Der brotlos geniale Künstler ist allerdings meist eine Märchenfigur.

Die Ausgangslage ist nun günstig. AT&T ist einer der größten Anbieter digitaler Infrastruktur weltweit, der sich für die Zukunft rüsten will. Bleibt also die Hoffnung, dass mit den Ansprüchen des Publikums auch Qualität und Wert der Inhalte weiter steigen. Dann würde AT&T mit seiner Übernahme von Time Warner ein sehr großes Preisschild auf die Kultur kleben. Es ist allerdings Aufgabe der Kultur, diesen Preis auch einzufordern.

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: