Medienpädagogin:"Wenig reden, viel in den Arm nehmen"

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Was Eltern tun können, um ihren Kindern in schwierigen Zeiten Sicherheit und Geborgenheit zu geben.

Interview von Susanne Klein

SZ: In der Weihnachtszeit geben Eltern ihren Kindern gern das Gefühl von heiler Welt. Ist das nach diesem Jahr voller Terror und Krieg richtig - oder sollten sie Kindern die komplizierte Realität erklären?

Kristin Langer: Die Familie kann das, was sie an Geborgenheit und Zusammenhalt erlebt, durchaus einmal vor dem Hintergrund betrachten, dass es an vielen Orten auf dieser Welt nicht so ist. Dass Kinder und Jugendliche häufig von Unsicherheit und Gewalt geprägt sind und dass Terroristen Menschen töten, sogar bei uns in Deutschland. Eltern können dabei auch herausfinden, inwieweit diese Dinge ihr Kind beschäftigen. Vielleicht braucht es Unterstützung oder Informationen.

Wie kann man einem Kind denn den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt begreiflich machen?

So wie seriöse Informationen es erlauben: Jemand hat einen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt gelenkt und dort Menschen überfahren. Wenn das Kind fragt, ob die Menschen Schmerzen hatten: Ja, sicher, das ist wie bei einem schlimmen Autounfall, oder bei dir, als du dir den Arm gebrochen hast. Die Art und Menge der Informationen muss man anpassen, kleinen Kindern würde ich immer weniger erzählen als Schulkindern. Auch die Vorerfahrung zählt. Angenommen, der Opa ist gerade gestorben, dann ist das Kind vielleicht sehr dünnhäutig oder aber wissbegierig, um die Erfahrung für sich zu verarbeiten. Kinder machen sich ihr Weltbild, und der Tod gehört dazu, ob als natürlicher Tod oder weil jemand einem Menschen schadet.

Was gibt mir Orientierung, wenn ich unsicher bin, wie viel ich sagen soll?

Sie können sich an ihrem Kind orientieren. Warten Sie ab, was es wissen will, das entwickelt sich in der Situation. Kinder fragen oft ganz direkt: Sind die jetzt tot? Und Sie sagen: Ja. Kinder denken viel unkomplizierter als wir, sie beginnen erst ab neun bis elf Jahren zu differenzieren. Darunter sind sie oft mit einfachen, klaren Informationen zufrieden: Okay, die sind jetzt tot.

Und wenn ein Kind doch so viel mitbekommen hat, dass es ängstlich ist und schlecht schläft?

Wenig reden, viel in den Arm nehmen, Dinge tun, die Sicherheit und Geborgenheit geben. Zusammen überlegen: Was hilft dir? Wenn ein Kind nach einem Geschehen wie in Berlin sagt, ich will nicht allein zur Schule gehen, darf man nicht darüber hinwegreden. Dann muss man das organisieren. Diese Art von Unterstützung hilft dem Kind, seine Angst zu besiegen. Um den emotionalen Haushalt von Kindern zu stärken, müssen wir nicht viel reden.

Liegt auch im Schweigen eine Gefahr?

Es liegt eine Gefahr darin, wenn Kinder sich mit ihren Gedanken nicht ernst genommen fühlen. Der Satz, dazu bist du noch zu klein, das erklär ich dir, wenn du größer bist, der funktioniert nicht mehr. Dafür schnappen Kinder heute zu viele Informationen auf. Das sollte kein ungefiltertes Zuhören sein, sie müssen eine Orientierung von uns bekommen. Welche Werte uns wichtig sind, welche Informationen wir verarbeiten, welche Haltung wir haben. Denn sie setzen ihre eigene Einschätzung aus verschiedenen Quellen zusammen, Verwandte, Gleichaltrige, Lehrer, Medien. Eltern sind dabei ein wichtiger Faktor, der viel Stabilität geben kann.

Der Anschlag in Berlin hat viele Menschen schockiert und verängstigt. Müssen Eltern solche Gefühle verbergen?

Grundsätzlich nicht, sie sollten sich nur nicht davon vereinnahmen lassen. Wenn ich weinen muss, weil mich ein Ereignis bewegt, dann darf ich das, muss aber erklären, was mich traurig macht. Es ist für Kinder, besonders für Jungen, wichtig zu sehen, okay, diese Sache berührt meine Mutter, wenn mich das selber traurig machen würde, wäre das auch in Ordnung. Aber dann sollte man Sicherheit ausstrahlen: Wir achten sehr darauf, dass unser Leben sicher ist. Sehr viele Menschen in diesem Land arbeiten dafür, uns zu beschützen. Was können wir selber noch tun?

Gar nicht so einfach, wenn über die Medien ständig Schreckensmeldungen ins Leben dringen. Allein die Bilder aus Syrien. Muss man Kinder gezielt abschirmen?

Unter zehn Jahren sollten sie auf keinen Fall Erwachsenennachrichten konsumieren, egal in welchem Medium. Das gilt besonders für Bilder. Niemand kann sich der Wirkung gewaltträchtiger Szenen entziehen, aber für Kinder sind sie außerdem noch zusammenhanglos. Wenn dann die Zeit fehlt, diese plakativen Eindrücke einzuordnen, sind sie sehr allein damit. So riskiert man Verstörung, möglicherweise sogar Panik. Teenager können mit den Eltern Nachrichten sehen, aber nur, wenn es wirklich für sie von Belang ist.

Wann empfehlen Sie Kindernachrichten?

Erst im Schulalter. Wenn die Eltern selbst oft Nachrichten schauen, kriegen Kinder das mit, und es ist sinnvoll die Kindernachrichten anzustellen. Wir müssen die Kinder aber nicht dazu drängen. Sie signalisieren, was sie brauchen. Wenn sie etwas in der Schule aufschnappen, was sie beschäftigt, kann man fragen, was weißt du schon darüber, und sich anschließend mit ihnen in den Kindernachrichten informieren.

Welche Kindermedien sind da geeignet?

Die TV-Nachrichten "Logo" und "Neuneinhalb", die Web-Nachrichten "Minitz.de" und die Online-Zeitung "Sowieso.de" sind alle sehr gut gemacht. Dann sind da noch der Kinderradiokanal "Kiraka" und "Hanisauland.de", wo Eltern und Kinder sich gut an Begrifflichkeiten herantasten können, etwa: Was ist ein Terrorist? Was ist der Islam? Die Bundeszentrale für politische Bildung verantwortet dieses Portal.

Wie lässt sich vermeiden, dass diese gezielte Medienwahl vom Smartphone konterkariert wird?

Indem man Kindern unter neun gar kein Handy und Kindern unter elf, zwölf Jahren nur eins ohne freigeschaltetem Internet gibt. Die Realität sieht oft anders aus, Smartphones sind für Kinder Statussymbole, und da gibt es viel sozialen Druck, auch eins zu haben. Dann ist es umso wichtiger, das Gerät kindgerecht zu machen. Durch verschiedene Sicherheitseinstellungen kann es mit dem Kind mitwachsen.

Wie können Kinder Lügen und Falschmeldungen erkennen?

Das müssen sie lernen. Nur weil Seiten und Videos oft geteilt wurden oder professionell gestaltet sind, heißt das nicht, dass die Inhalte auch wahr sind. Wichtig ist, auf emotionale Sprache zu achten, Einseitigkeit aufzuspüren und selbst zu recherchieren. Wer verfasst die Information? Stimmen die Fakten? Ein Tutorial für Jugendliche auf "SogehtMedien.de" hilft dabei.

Was können Lehrer tun, wenn Schüler, aufgestachelt durch einen Terrorakt oder aus anderen Gründen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in die Schulen tragen?

Sie können insgesamt für ein versöhnliches Klima sorgen. Das ist schwierig, denn es setzt eine gewisse Einigkeit voraus, die kontinuierlich gefördert werden muss. Sehr prägend für die Haltung sind die Klassenlehrer der Grundschule, später braucht es Projekte wie "Schule ohne Rassismus". Aktuell treibt Lehrer die "Hate Speech" im Netz um, die vernichtenden Äußerungen von Jugendlichen schockieren. Da früh einen Riegel vorzuschieben, geht nur durch Schulung von Respekt und Umgangsformen. Es ist leichter, anonym etwas rauszuhauen als es jemandem ins Gesicht zu sagen. Lehrer können mithilfe von Sozialpädagogen oder Psychologen Übungen einbeziehen, die betroffen machen. Erlebe ich das Gefühl der Erniedrigung hautnah, achte ich auf meine Worte und ihre Wirkung.

Hinweise auf Kindersuchmaschinen und Jugendschutz-Apps finden Sie auf schau-hin.info/sicherheit

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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