Massentötung in syrischer Provinz Hama:UN-Beobachter reisen an Ort des Massakers

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Obwohl ihre Mission wegen der andauernden Gewalt in Syrien ausgesetzt ist, haben UN-Beobachter Tremseh besucht. Dort waren am Donnerstag Aktivisten zufolge 150 Menschen getötet worden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon fordert den Sicherheitsrat auf, den Druck auf das Assad-Regime zu erhöhen - Amnesty International beklagt Menschenrechtsverletzungen der Aufständischen.

In Syrien stationierte Beobachter der Vereinten Nationen (UN) haben den Ort des jüngsten Massakers besucht. Sie seien in der Kleinstadt Tremseh in der Provinz Hama gewesen, wo die syrische Armee und verbündete Milizen am Donnerstag nach Angaben von Aktivisten mehr als 150 Menschen getötet hatten. Das teilte eine Sprecherin der UN-Beobachtermission mit.

Dabei stellten die UN-Beobachter dem ersten Augenschein nach Angriffe vor allem auf Häuser "von Deserteueren und Aufständischen" fest. Nach dem Besuch von UN-Beobachtern in der zentralsyrischen Ortschaft sagte deren Sprecherin Sausan Ghosheh am Samstag, in Tremseh seien "Blutlachen" und "Blutflecken in den Räumen mehrerer Häuser sowie Patronenhülsen" gefunden worden.

Davon unbeirrt ging die Offensive des syrischen Regimes gegen Aufständische Aktivisten zufolge weiter. Die Armee und Milizen stürmten die Ortschaft Cherbet Ghasale in der südlichen Provinz Daraa.

Nach UN-Angaben hatte sich ein Beobachterteam am Vorabend bereits bis auf sechs Kilometer dem Ort genähert. Auf Bildern und in Videos im Internet waren UN-Fahrzeuge nahe Tremseh zu sehen, die von Menschen umringt wurden. Sie zeigten den Beobachtern blutgetränkte Kleidung und Überreste von Granaten.

Wegen der fortdauernden Gewalt im Land ist die Mission der 300 UN-Beobachter seit dem 15. Juni eigentlich ausgesetzt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon appellierte an den UN-Sicherheitsrat: Sollte dieser den Druck auf die Führung in Damsakus nicht erhöhen, wäre das eine "Lizenz für weitere Massaker", sagte er. Der Sicherheitsrat müsse eine "starke Botschaft" aussenden, dass Verstöße gegen den Friedensplan des internationalen Sondergesandten Kofi Annan "ernsthafte Konsequenzen" hätten, sagte Ban.

Das Massaker von Tremseh bezeichnete er als "entsetzliche Massentötung". Frankreichs Präsident François Hollande sagte, er habe seinen russischen Kollegen Wladimir Putin gewarnt, dass Russland mit der Blockade im Sicherheitsrat eine politische Lösung erschwere und damit einen "Bürgerkrieg in Syrien" riskiere. Zuvor hatte Bundesaußenminister Guido Westerwelle sein Entsetzen über das Massaker geäußert. Zahlreiche weitere Staatschefs verurteilten die Taten.

Berichten zufolge handelte es sich bei den meisten Opfern in Tremseh um Aufständische, die zuvor einen Armeekonvoi angegriffen hatten. Aktivisten sprachen von Dutzenden Rebellen, die in der mehrheitlich sunnitischen Kleinstadt standrechtlich erschossen worden seien. Zahlreiche Zivilisten seien zudem beim Versuch, über die Felder zu entkommen, getötet worden. Außer der Armee sollen auch Milizen aus nahegelegenen alawitischen Dörfern beteiligt gewesen sein.

Medien berichten über Transporte von Chemiewaffen

Der britische Sender Sky News berichtete unter Berufung auf britische Geheimdienstmitarbeiter, syrische Streitkräfte hätten Chemiewaffen nach Homs transportiert, das zu weiten Teilen von Rebellen kontrolliert wird. Nach früheren Angaben des Wall Street Journal wurde in Syrien damit begonnen, Chemiewaffen aus den Lagern zu holen. Damaskus besitze größere Mengen des Nervenkampfstoffes Sarin und Senfgas.

Auch am Samstag ging die Gewalt in Syrien weiter. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London erklärte, landesweit seien 28 Menschen getötet worden, darunter 13 Zivilisten, neun Rebellen und sechs Soldaten. Die Opferzahl für Freitag gab die Organisation mit 118 an, darunter 49 Zivilisten, 37 Soldaten und 32 Aufständische. Die meisten Opfer am Samstag gab es der Beobachtungstelle zufolge beim Beschuss der Rebellenhochburg Homs sowie in Duma nahe der Hauptstadt Damaskus, wo morgens sieben Zivilisten beim Einschlag einer Granate in ihrem Haus getötet worden seien.

Außerdem tötete ein Selbstmordattentäter in der Provinz Hama vier Menschen. Nach Berichten der amtlichen Nachrichtenagentur SANA hatte der Attentäter seinen Sprengsatz auf einem Fahrzeug unter einer Ladung Zwiebeln versteckt. Unter den Opfern seien drei Zivilisten - zwei Frauen und ein Kind. Die Syrische Beobachtungsstelle bestätigte den Anschlag in der Stadt Muhrada und erklärte, dieser habe sich gegen ein örtliches Hauptquartier der Sicherheitskräfte gerichtet. Das vorwiegend christliche Mahradeh gehört zur gleichen Region wie das sunnitische Dorf Tremseh in der Unruheprovinz Hama.

Assad-Kämpfer greifen Unbewaffnete an

Amnesty International teilte unterdessen mit, dass der Organsation nach eigenen Angaben auch Beweise vorliegen, die Menschenrechtsverletzungen durch Rebellen belegen. Im Vergleich zum gewaltsamen Vorgehen der Regierungstruppen verblassten diese allerdings, sagte Donatella Rovera, die mehrere Wochen in Syrien verbrachte. Einzelne Aufständische hätten gegen die Menschenrechte verstoßen, indem sie Soldaten von Präsident Baschar al Assad gefangengenommen, geschlagen und getötet hätten.

Rovera betonte allerdings, dass in erster Linie die Regierung für die eskalierende Gewalt verantwortlich sei. Assads Truppen hätten ganze Dörfer angegriffen, um den sich ausbreitenden Aufstand zu unterdrücken. Berichte deuteten daraufhin, dass Assad-treue Kämpfer Kliniken und Häuser in Brand gesetzt hätten, um Rebellen aufzustöbern. Zunehmend griffen sie auch unbewaffnete Zivilisten an, darunter Gesundheitspersonal, das verletzte Rebellen behandelte, die nicht in Krankenhäusern aufgenommen worden seien.

© Süddeutsche.de/AFP/Reuters/dpa/dapd/mane - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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