Manuela Schwesig:Rosenrot, oh Rosenrot

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Als jüngste Ministerin im Kabinett, zuständig für Frauen und Familie, wurde Manuela Schwesig oft belächelt. Nun erinnert sie manche daran, dass in ihrem Ressort schon andere Karrieren begannen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Jetzt fragen sie sie schon, ob sie Kanzlerkandidatin wird. Und einer, wenn auch ein Kleiner, hält sie für die Bundeskanzlerin höchstpersönlich.

Worms-Nord, Stadtteil Neuhausen am Donnerstag, ein paar abgewohnte Plattenbauten der 1980er-Jahre stehen hier herum, und aus dem "Kindertreff 93" dringt aufgeregtes Summen. Kinder aus mehr als 20 Nationen rutschen hier auf Holzbänken zusammen. Sie haben ein Lied eingeübt, sie warten, gleich kommt Besuch in ihre Kita. Bloß - wer eigentlich? Ajay überlegt, er ist sechs. "Ich weiß", sagt er dann, "Frau Müller kommt. Die Putzfrau." Quatsch, sagt Maximilian: "Mein Bruder kommt." Und da steht sie dann wie eine Märchenfee, mit Haaren so hell wie Schnee und papageienblauem Anzug. "Ich heiße Manuela", sagt die fremde Frau und strahlt. "Ich bin eure Kinderministerin."

Manuela Schwesig auf Sommertour durch Deutschland, die Familienministerin aus dem Osten ist ausgezogen, den Westen zu erobern und dazu ein paar Kampfgefährtinnen von der SPD. Am Montag trifft sie Hannelore Kraft, die erste Frau in Nordrhein-Westfalen. Am Dienstag spaziert sie mit Berlins Arbeitssenatorin Dilek Kolat in eine Moschee. Am Mittwoch streichelt sie einen Hund mit Malu Dreyer, der Regierungschefin von Rheinland-Pfalz. Am Freitag geht sie wandern mit Katrin Altpeter, Sozialministerin in Baden-Württemberg. Verschwörung der SPD-Frauen? Nicht ganz. Aber Schwesig sammelt Truppen.

Wie macht die das eigentlich? Manuela Schwesig in einer Moschee in Berlin,... (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Die jüngste Ministerin in Merkels Kabinett, das war mal eine, die belächelt wurde. Als sie Ministerin wurde, beschrieben Beobachter sie gern als eine Art Aufziehpuppe, als seltsam emotionslosen Sprechapparat. Schwesig war forsch und jung und Mutter, aber sie trat nicht auf, wie junge Mütter aufzutreten hatten. Sie sagte "ölf", wenn sie "elf" meinte, oder "ebent" statt "eben". Na ja, meinte mancher, die "Küsten-Barbie" eben, eher so ein schlichtes Ost-Blondchen. Andere machten hinter ihrer selbstbewussten Rhetorik eine angespannte Unsicherheit aus.

Und jetzt? Rückt Schwesig in den Hitlisten beliebter Politiker nach oben. Die Ministerin, die die Frauenquote durchsetzte, die dem Finanzminister Geld für Alleinerziehende abtrotzte und jetzt noch mit dem Aus fürs Betreuungsgeld beschenkt wurde, kommt im neuen ZDF-Politbarometer auf Platz vier der wichtigsten deutschen Politiker. Und als Meinungsforscher von Forsa kürzlich SPD-Anhänger fragten, welche SPD-Spitzenleute gute Arbeit machten, folgte auf Außenminister Frank-Walter Steinmeier gleich Familienministerin Schwesig - vor Arbeitsministerin Andrea Nahles und Vizekanzler Sigmar Gabriel.

...in einem Flüchtlingsheim in Heidelberg... (Foto: Ronald Wittek/dpa)

Sie gilt als ehrgeizig und pragmatisch - und neigt zu schnellem Zorn

Die Schwesig? Wie macht die das eigentlich?, fragen sich manche. Zurück also zur Sommerreise der Ministerin, nach Bingen, wo es aussieht wie im Bilderbuch westdeutscher Zuversicht. Hier fließt der Rhein zwischen stramm gekämmten Weinbergen, hier winkt an jeder Ecke eine mittelalterliche Burg, und im Seniorenstift Sankt Martin sagt eine Dame, die Alten fühlten sich "manchmal fast überfordert" von all den Kursen, die ihnen angeboten würden.

Haben die Menschen hier keine anderen Sorgen, kann man sich da fragen, aber die ältere Dame rückt das Bild gleich zurecht. Jede Nacht kommen neue Flüchtlinge nach Bingen, sagt sie, und dass doch noch viel Platz in Privatwohnungen sei. Es fehle auch nicht an ehrenamtlichen Helfern. Sie macht eine kleine Pause. "Es ist keine Fremdenfeindlichkeit", schiebt sie vorsichtig hinterher, "aber die Leute haben Angst, dass es zu viel wird."

Im Saal des Seniorenstifts sitzen Manu & Malu, zwei wie Schneeweißchen und Rosenrot. Malu Dreyer, die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, mag Manuela Schwesig, das merkt man. Eben haben die beiden einen Therapiehund des Altenheims gekrault für die Fotografen. Jetzt sitzen sie vor den Bewohnern des Hauses und wollen übers Altwerden reden. Wie schön, dass es so viel bürgerschaftliches Engagement gibt in Bingen, sagt Dreyer. Rheinland-Pfalz gilt als Vorzeigeland für Seniorenpolitik, sagt Schwesig. Und weil ihr das wohl irgendwie zu unpersönlich klingt, erzählt sie noch, dass die Alten zur Familie gehören, auch zu ihrer: "Meine Oma ist 96. Wir sind eine große Familie. Mein Sohn ist ihr 19. Urenkel."

...und in einem Seniorenstift in Bingen. (Foto: Thomas Lohnes/Getty)

Die Alten freuen sich, aber noch lieber wollen sie jetzt doch über Asylbewerber reden. Eben war im Radio zu hören, dass 800 000 Flüchtlingen in Deutschland erwartet werden. "Das ist ziemlich viel", sagt Dreyer, die dann los muss, eine Erklärung zu den neuen Zahlen abgeben. Manuela Schwesig steht jetzt allein vor den Senioren, Mikrofon in der Hand, sie improvisiert ein wenig. Aber wer glaubt, dass die Besucherin in den geblümten Pumps jetzt anfängt, über Generationenhäuser und Gehhilfen zu reden, irrt sich.

Was kommt, ist eine der Schwesig'schen Wortkaskaden, die aufhalten zu wollen zwecklos ist. Die Gesellschaft muss "klare Kante zeigen" gegen Fremdenhass, sagt sie. Deutschland müsse aber auch "früh Klarheit schaffen" bei aussichtslosen Asylersuchen. Verfahren abkürzen, sichere Herkunftsländer benennen, "konsequent abschieben", damit Kriegsflüchtlinge Platz finden, so geht das, sagt sie später noch, da sitzt sie schon im Bus. "Eine schnelle Entscheidung ist der beste Weg, Flüchtlingsströme aus Ländern zu verhindern, die keine Chance auf Asyl haben."

Töne sind das, die man von der Familienministerin so nicht kannte. Forderte sie nicht mit der Beharrlichkeit des Zahnarztbohrers immer Chancengleichheit für Frauen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Stand ihr Name nicht für Ideen wie Familienarbeitszeit? Stimmt alles, nur dass Schwesig eben mehr will.

"Ich finde es immer schön, wenn man nicht auf eine Strecke festgelegt ist", sagt sie auf ihrer Reise. Der Themenkreis soll weiter werden, so kann man das verstehen. Was sie nicht sagt: Auch Angela Merkel und Ursula von der Leyen haben mal als Frauenministerinnen angefangen. Schwesig ist ehrgeizig, ausdauernd, neigt zum schnellen Zorn. Und sie hat sich nie gern kleiner machen lassen, als sie sich fühlte. In der DDR wollte sie Heimerzieherin werden, das galt als Privileg, nach der Wende wurde sie Steuerfahnderin und 2008 Ministerin für Soziales in Schwerin. Sie war also nicht zuständig für das, was sie konnte, Zahlen, sondern für das, was sie war: eine Frau. Schon möglich, dass sie das irgendwann mal ändern will.

In der SPD jedenfalls haben sie noch Pläne mit Schwesig. Sie habe der SPD das Familienthema zurückerobert, ist im Umfeld des Parteichefs zu hören. Jetzt stehe es für Zukunft, Modernität. Weniger begeistert ist der Koalitionspartner. Schwesig höre nie auf, kenne keine Kompromisse, heißt es in einem CDU-Ministerium. Aber auch hier fällt irgendwann das Wort Respekt.

Ein Abend im Weinbergschlösschen in Oberheimbach, Manuela Schwesig und Malu Dreyer haben Presseleute zum Essen eingeladen. Es gibt Wild, was geredet wird, darf nicht in die Zeitung. Einer Radioredakteurin immerhin wird erlaubt, ein kurzes Interview zu führen, so ein paar allgemeine Fragen. "Wann kriegt die SPD eine Kanzlerkandidatin?" fragt sie. Da lacht Malu Dreyer, es sei doch egal, ob ein Mann oder eine Frau die Regierung führe. Manuela Schwesig lacht nicht. "Das kann ich Ihnen nicht beantworten", sagt sie knapp. Ihr Blick sagt etwas anderes: Alarm.

Man kann sich auch wegjubeln lassen.

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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