Malta:Harte Nuss

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"Die Leute haben die Nase voll": Maltas Premierminister Joseph Muscat ist ein Mann deutlicher Worte. (Foto: M. Mirabelli/Afp)

Der kleinste EU-Staat übernimmt den Ratsvorsitz - Regierungschef Joseph Muscat zeigt Krisenbewusstsein und mahnt zu einer offenen Debatte in der Flüchtlingspolitik. Man dürfe Leute, die ihre Sorgen äußerten, nicht automatisch als Rassisten brandmarken.

Von Alexander Mühlauer, Valletta

Joseph Muscat versucht erst gar nicht, seinen Stolz zu verbergen. Der maltesische Premierminister, 42 Jahre alt, Sozialdemokrat, steht mit breiter Brust im Lichthof der Auberge de Castille, seinem Amtssitz in Valletta, und erklärt, was seinem Land nun bevorsteht: sechs Monate Nüsse knacken. Und zwar ziemlich harte, wie er sagt. Bis Ende Juni hat Malta die Präsidentschaft der EU-Staaten inne. Muscat muss als Vorsitzender versuchen, diese Union irgendwie zusammenzuhalten.

Das war schon mal leichter, denn auf der Agenda stehen nicht nur die Flüchtlingskrise und der Brexit, sondern auch Wahlen in Frankreich und den Niederlanden - und mit ihnen die Angst vor Populisten, die nichts anderes wollen als die EU zu zerstören. Kein Wunder also, dass Muscat diese Aufgabe nicht nur mit Stolz erfüllt, sondern auch mit einer gewissen Unruhe.

Der Maltese ist zwar bemüht, sich das nicht anmerken zu lassen. Doch als es darum geht, wie er denn nun genau diese Nüsse knacken will, laufen seine Backen rot an. Das könnte natürlich auch an der Sonne liegen, die auf sein Gesicht scheint; tut es aber nicht, sagt ein Diplomat, der diese Reaktion schon öfters in Brüssel bemerkt haben will. Und dort macht sich die Sonne im Winter ja bekanntermaßen rar.

Politische Korrektheit dürfe einer Debatte über Flüchtlingspolitik nicht im Weg stehen, sagt Muscat

Es ist das erste Mal, dass Malta, der kleinste aller EU-Staaten, den Ratsvorsitz übernimmt. Muscat ist in seiner Diagnose ziemlich schonungslos: "Die Leute haben vom jetzigen System die Nase voll", sagt er. "Wir kümmern uns nicht um die Fragen der Bürger." Das sind ungewöhnlich deutliche Worte für einen Regierungschef, der genau das mit zu verantworten hat.

Zum Beispiel das Thema Migration. Die meisten Bürger würden nicht wirklich verstehen, wie die EU auf die Flüchtlingskrise reagiere, meint Muscat. "Die Leute reden darüber, warum es sein muss, dass immer mehr Menschen mit dunkler Hautfarbe in unserer Nachbarschaft leben." Das Schlimme daran sei, dass diese Leute, die lediglich ihre Sorgen äußerten, als Rassisten gebrandmarkt würden. "Wir müssen aufhören, den Menschen Vorwürfe zu machen, die extremistische Gruppen wählen", sagt Muscat. Dies gelte besonders für die Flüchtlingsfrage, wenn "Menschen, die in Vorstädten leben", sich durch Zuwanderer "entrechtet" fühlten. "Politische Korrektheit" dürfe einer Debatte über alle Facetten der Flüchtlingskrise nicht mehr entgegenstehen, meint der Premier.

Aus seiner Sicht trifft das nämlich vor allem auf linke Wähler zu, die sich einst von der Sozialdemokratie gut vertreten fühlten. Diese müsse man zurückgewinnen, indem man dieses Problem sehr offen anspreche. Muscat sieht die Krise seiner Parteienfamilie ähnlich wie Noch-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der den Europa-Gegnern mit mehr Härte entgegentreten will.

In der Sache hat Maltas Regierungschef eine klare Vorstellung. "Die volle Sicherung der EU-Außengrenzen ist der erste Schritt", sagt Muscat. Erst wenn dies erreicht sei, könne es Fortschritte in der Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme und Lastenteilung unter den EU-Staaten geben. Mehrere osteuropäische Länder lehnen die Aufnahme von Asylbewerbern zur Entlastung von Ankunftsländern wie Griechenland und Italien kategorisch ab. Malta, das wegen seiner Nähe zu Nordafrika ein Hauptanlaufziel von Flüchtlingen sei, habe Solidarität gezeigt, erklärt Muscat.

Eine besondere Beziehung pflegt die Mittelmeerinsel seit jeher zu Großbritannien. Als ehemalige britische Kronkolonie hat das Land nun mit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zu tun. Großbritannien darf nach Ansicht Muscats nicht besser dastehen als derzeit. "Wir wollen einen fairen Deal für das Vereinigte Königreich", sagt der Premier. Diese Vereinbarung müsse aber schlechter sein als eine EU-Mitgliedschaft. Die verbleibenden 27 Länder würden zunächst eine gemeinsame Position abstimmen, wenn Großbritannien voraussichtlich Ende März den Antrag für den EU-Austritt eingereicht habe. Erst danach würden die Verhandlungen mit der Regierung in London beginnen. Er habe selten eine solche Einigkeit unter den EU-Staaten wie im Fall des anstehenden Brexit erlebt, sagt Muscat. Für die Details der Verhandlungen sei die EU-Kommission zuständig. Aber beim Gipfel im Kreis der 27 EU-Staaten Anfang Februar in Valletta werde darüber beraten.

Im März will die EU trotz aller Krisen feiern. Dann werden die Römischen Verträge 70 Jahre alt. Beim Gipfeltreffen in der italienischen Hauptstadt könne die EU der Welt zeigen, dass sie bereit sei, ein Vakuum zu füllen, wie Muscat meint. Angesichts des neuen US-Präsidenten Donald Trump sollte sich Europa als "Führer der freien Welt" präsentieren. Zumindest an der Haltung soll es also nicht liegen, wenn sich das mit dem Nüsseknacken als schwierig erweisen sollte.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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