Machtkampf zwischen Militär und Präsident:Ägypten vor dem Showdown

Die Militärs gegen den neuen Präsidenten und seine Muslimbrüder: Der Machtkampf in Ägypten soll nun vor Gericht entschieden werden. Das Verfassungsgericht hat zugunsten des alten Regimes geurteilt und die Auflösung des Parlaments "endgültig" bestätigt. Spannend wird es am Dienstag, wenn das Unterhaus zur Sitzung zusammenkommt.

Tomas Avenarius, Kairo

Es ist ein Showdown der Verfassungsorgane. In Ägypten wird der Konflikt zwischen den bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen siegreichen Islamisten und den säkular orientierten Kräften des alten Regimes jetzt auf der Ebene der obersten Justiz ausgefochten. Das Verfassungsgericht hatte zunächst das von den Islamisten dominierte Unterhaus wegen eines Fehlers im Wahlgesetz Anfang Juni für unrechtmäßig erklärt, der Militärrat hatte das Unterhaus kurzerhand aufgelöst.

Ägyptens Verfassungsgericht weist Präsidentendekret zurück=

Das ägyptische Verfassungsgericht hat das umstrittene Dekret von Präsident Mohammed Mursi zur Parlamentswahl abgelehnt. Mursi hatte die Wiedereinsetzung des Parlaments angeordnet, das vom Verfassungsgericht für illegitim erklärt worden war.

(Foto: dpa)

Doch die Muslimbrüder schlugen zurück: Der gerade ins Amt gewählte Staatschef Mohammed Mursi hat das Parlament wieder eingesetzt; Parlamentspräsident Saad al-Katatni, ebenfalls ein Muslimbruder, hat die Abgeordneten für diesen Dienstag zusammengerufen. Nun aber legen die Verfassungsrichter nach. Sie bestreiten dem Präsidenten das Recht, sich über ihre Entscheidung hinwegzusetzen.

Spannend wird es nun am Dienstag. Das Unterhaus soll dann zur Sitzung im Kairoer Parlamentsgebäude nahe dem Tahrir-Platz zusammenkommen. Ob die Armee die Eingänge zum Hohen Haus blockiert? Die Muslimbrüder dürften wie immer dafür Sorge tragen, dass ihre Anhänger in großer Zahl mit Bussen herbeigekarrt werden, um dem "Volkswillen" lautstark Ausdruck zu verleihen.

Um das Chaos komplett zu machen, soll morgen eine weitere Gerichtsentscheidung fallen. Das oberste Verwaltungsgericht muss entscheiden, ob das Verfassungsgericht überhaupt rechtmäßig gehandelt hat.

Verfassungsgericht hat sich offenbar auf Seite des Militärs geschlagen

Eigentlich hätte diese Entscheidung bereits am Montag fallen sollen. Die Vertagung auf Dienstag zeigt, dass der Konflikt auch hinter den Kulissen ausgetragen wird und die Unabhängigkeit der ägyptischen Justiz zweifelhaft ist. Die obersten Richter wurden noch vom gestürzten Staatschef Hosni Mubarak ernannt, sie stehen im Kontakt zum Obersten Militärrat.

Der hat die Macht nach der Wahl Mursis zum Präsidenten zwar offiziell wieder in zivile Hände gegeben, gleichzeitig aber die Vollmachten des Präsidenten beschnitten, die Legislative und das Budgetrecht bis zur Neuwahl eines Parlaments an sich gerissen.

Bei all dem hat sich das Verfassungsgericht offenbar auf die Seite des Militärs geschlagen. Gekippt wurde das Parlament aufgrund eines Fehlers im neuen Wahlgesetz, der die Direktwahl eines Drittels der Abgeordneten des Unterhauses betrifft. Die Islamisten hatten fast nur Männer aus der zweiten Reihe auf die Listen ihrer Parteien gesetzt und die bekanntesten Parteipolitiker dafür als Direktkandidaten antreten lassen. Das war ungesetzlich.

Generäle und Juristen hatten den Fehler angeblich bewusst übersehen, um später eine Handhabe gegen die Muslimbrüder und die einen noch strengeren Islamismus predigenden Salafisten zu haben. Dies zumindest behauptete jüngst eine ägyptische Verfassungsrichterin.

Ob die Generäle Erfolg haben beim Versuch, den Machtkampf nicht auf der Straße, sondern vor den höchsten Gerichten für sich zu entscheiden, erscheint als zweifelhaft. Trotz der Bestallung hoher Richter durch das Mubarak-Regime haben die Muslimbrüder die Justiz des Landes über Jahrzehnte hin unterwandert, Teile der Richterschaft zählen zu ihren Unterstützern. Zudem können die Brüder jederzeit ihre Unterstützer zusammenrufen: Das Unterhaus ist keine 300 Meter vom Tahrir-Platz entfernt.

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