Luftschlag:Kontrollierte Eskalation

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Mit dem Angriff wollen die USA klarmachen, dass sie es mit der Ächtung von Chemiewaffen ernst meinen. Unklar ist, ob Präsident Baschar al-Assad über weitere Arsenale verfügt.

Von Paul-Anton Krüger und Mike Szymanski

Dumpfes Grollen riss etliche Bewohner von Damaskus am Samstagmorgen um 3.53 Uhr aus dem Schlaf. "Es hörte sich erst an wie ein schweres Gewitter", sagte einer von ihnen. Doch statt Blitzen zogen fauchend Luftabwehrraketen Feuerschweife durch den Nachthimmel, schwere Explosionen waren zu hören. Es war der Beginn gemeinsamer Angriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens - laut Pentagon galten sie drei Anlagen, die zum geheimen Chemiewaffenprogramm des syrischen Regimes von Präsident Baschar al-Assad gehören sollen.

Nördlich der syrischen Hauptstadt trafen Marschflugkörper bei Barzeh eine Einrichtung, die zum Scientific Studies and Research Center gehört. Das "Herz des syrischen Chemiewaffenprogramms" nennt sie General Kenneth F. McKenzie, Direktor beim US-Generalstab. 76 Tomahawk- und JASSM-ER-Marschflugkörper hätten US-Kriegsschiffe und zwei B-1-Bomber darauf abgefeuert. "Vorher standen dort drei Gebäude und ein Parkdeck, jetzt nicht mehr", sagte er; Bilder der Anlage bestätigen das. Syriens Chemiewaffenprogramm werde dadurch "um Jahre zurückgeworfen".

Die beiden anderen Ziele liegen westlich der Stadt Homs. Es handelt sich laut dem Pentagon dabei um eine Lagerstätte und möglicherweise auch Produktionseinrichtung für den Nervenkampfstoff Sarin bei Him Schinschar sowie einen sieben Kilometer entfernten Bunker. Auf das erste Ziel feuerten vier Tornado-Kampfjets der britischen Luftwaffe acht Marschflugkörper, die französische Fregatte Languedoc drei, neun die Amerikaner. Einen sieben Kilometer entfernten Bunker attackierten französische Rafale-Jets. Auch diese Ziele wurden nach der ersten Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums zerstört oder schwer beschädigt.

"Ein perfekt ausgeführter Schlag", jubilierte US-Präsident Donald Trump am Morgen danach auf Twitter, während die Regime in Damaskus und Russland ein völlig anderes Bild zu zeichnen versuchten. Einig waren sich der russische und der US-Generalstab nur bei der Aussage, es habe keine Toten gegeben. Dagegen teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit, die syrische Luftabwehr habe 71 der anfliegenden Raketen abgeschossen. Demnach wurden aber auch der Militärflugplatz Dumeir und vier weitere Luftwaffenstützpunkte angegriffen, jedoch nicht beschädigt.

Es ist vermutlich ein Versuch, dem Schützling in Damaskus zu ermöglichen, sein Gesicht zu wahren. McKenzie sagte, alle Lenkwaffen hätten ihr Ziel erreicht. Die syrische Luftabwehr habe etwa 40 Raketen abgefeuert, allerdings erst, nachdem der letzte Marschflugkörper schon eingeschlagen gewesen sei. Der massive Angriff mit Dutzenden Flugkörpern habe die syrischen Abwehrsysteme übersättigt.

Die in Syrien stationierten modernen Luftabwehrsysteme der russischen Armee dagegen haben den Angriff nur "beobachtet", wie General Sergeij Rudskoi in Moskau es formulierte - auch McKenzie betonte, die russischen Systeme seien zwar nicht abgeschaltet, aber nicht eingesetzt worden. Die beiden S-400-Batterien, die Moskau an der Küste stationiert hat, gehören zu den leistungsfähigsten derartigen Systemen weltweit und sind mit anderen der Typen S-300 und Pantsir S-1 vernetzt. Die Raketen des S-400 können Ziele bis in 400 Kilometer Entfernung bekämpfen, das Frühwarnradar reicht 600 Kilometer weit über Zypern hinweg bis in die Türkei und Jordanien. Das russische Militär war also jederzeit im Bilde, was auf Syrien im Anflug war, auch wenn keines der Flugzeuge der westlichen Verbündeten dem syrischen Luftraum auch nur nahe gekommen ist.

Offenkundig gab es detaillierte Absprachen zwischen den USA und Russland

Ungeachtet der harschen Rhetorik auf der politischen Bühne, etwa im UN-Sicherheitsrat, hat es offenkundig enge, detaillierte Absprachen zwischen den amerikanischen und den russischen Streitkräften gegeben. Beide Seiten haben kein Interesse daran, dass es zu einer Eskalation zwischen den Atommächten kommt. Die etablierten Kommunikationskanäle funktionierten noch, heißt es in Militärkreisen. Russische Medien hatten direkte Kontakte auf Generalstabsebene gemeldet, auch der US-Botschafter in Moskau, Jon Huntsman, sagte, es habe Gespräche gegeben.

Die USA teilten zwar mit, Russland sei nicht vorab formell über die Ziele informiert worden. Man habe aber eine generelle Warnung vor dem Angriff über die Standleitung zum russischen Militär in Syrien übermittelt. Die war 2016 eingerichtet worden, um Zwischenfälle zwischen Kampfjets und den versehentlichen Beschuss von Bodentruppen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu vermeiden. Sie verbindet den Kommandostand des russischen Luftwaffenstützpunkts Khmeimim am Mittelmeer bei Latakia mit dem Hauptquartier der US-Luftwaffe für den Nahen Osten auf dem Militärflugplatz al-Udeid nahe der katarischen Hauptstadt Doha.

Feuerschweife von Luftabwehrraketen erhellen am frühen Samstagmorgen den Himmel über Syriens Hauptstadt Damaskus. (Foto: Hassan Ammar/AP)

In Washington setzte sich letztlich Verteidigungsminister James Mattis mit seinem Plädoyer für einen eng umgrenzten Militärschlag durch - einer, mit dem Präsident Trump wie sein französischer Kollege Emmanuel Macron seine rote Linie wahren konnte, ohne jene des Kreml zu verletzten. Jeder massive Luftschlag etwa gegen Assads Luftwaffe, die noch über etwa 275 Flugzeuge verfügt, hätte ein höheres Risiko bedeutet, russischen Soldaten Schaden zuzufügen. Auch hätte dies wohl erfordert, mangels einer mindestens stillschweigenden Duldung eines solchen Angriffs in Moskau zuerst die russische Luftabwehr in Syrien zu attackieren - fast zwangsläufig das Szenario, vor dem Mattis gewarnt hatte, dass "das auf strategischer Ebene außer Kontrolle gerät". Und außerdem haben die USA selber noch 2000 Soldaten in Syrien, die Ziel von Vergeltung werden könnten.

Die Bedeutung des Angriffs ist eher politisch und symbolisch, wie Mattis zu erkennen gab. "Vergangenes Jahr haben wir alleine ein Ziel attackiert", sagte er mit Blick auf den Angriff auf den syrischen Militärflugplatz al-Schayrat im April 2017. Dieses Mal "haben wir mehrere Einrichtungen zusammen mit zwei Verbündeten attackiert". Das Ziel, so hatte es Trump formuliert, sei gewesen, die Ächtung von Chemiewaffen zu stärken. Man beabsichtige nicht, in dem Bürgerkrieg zu intervenieren, sagte die britische Premierministerin Theresa May. "Es geht nicht um einen Regimewechsel."

Dennoch muss sich erst zeigen, ob dieses eng umrissene Ziel erreicht wurde. General McKenzie schloss nicht aus, dass Syrien noch Bestände an Kampfstoffen hat und diese einsetzen könnte. Er gehe aber davon aus, dass "sie sich das gut überlegen werden". In Damaskus zeigte sich Assad unbeeindruckt. Das Präsidialamt stellte ein Video ins Internet, wie er morgens in sein Büro schlenderte. Und seine Anhänger feierten in den Straßen der Hauptstadt mit syrischen und russischen Flaggen.

© SZ vom 16.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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