Lockerbie-Attentäter:Realpolitik im Kilt

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Es geht nicht um Moral oder Mitgefühl - sondern um Investitionen in Multimillionenhöhe: Die Schotten lassen den Lockerbie-Attentäter ziehen, weil sie auf Libyens Öl hoffen.

Wolfgang Koydl

Schottlands Erdgasvorkommen in der Nordsee gehen rapide zur Neige, vor der Küste Libyens aber sind gerade gigantische neue Reserven an Gas und Öl entdeckt worden. Mehr muss man nicht wissen, wenn man die Begnadigung des Lockerbie-Bombers Abdelbasset Ali al-Megrahi durch die Regierung in Edinburgh und den daraus resultierenden transatlantischen Streit mit Washington verstehen will.

Nach seiner Freilassung besteigt Abdelbasset Ali al-Megrahi eine Maschine in seine Heimat Lybien. (Foto: Foto: rtr)

Es geht nicht um altmodische Begriffe wie Sühne und Vergeltung, Moral oder Mitgefühl. Es geht um Investitionen in Multimillionenhöhe, um Firmenbilanzen und letztlich auch darum, ob in Großbritannien irgendwann in den nächsten Jahren Heizungen erkalten und Lichter ausgehen werden.

Bekäme ein Konkurrent den Zuschlag, wären die Mittel verloren

Fast eine Milliarde Dollar hat der britische Energiegigant British Petroleum in die Erschließung neuer libyscher Gasvorkommen investiert. Das Geld wäre gut angelegt, wenn das Unternehmen nun auch das Recht erhielte, die Ressourcen auszubeuten. Bekäme ein Konkurrent, etwa aus den USA, den Zuschlag, wären die Mittel verloren - und damit vermutlich auch Arbeitsplätze daheim im Königreich und Steuereinnahmen für den Schatzkanzler in London.

Wo so viel auf dem Spiel steht, da schrumpft ein Mann wie Megrahi zu einer kleineren Irritation, zu einem unbedeutenden Kieselstein, der das große Getriebe nicht zum Stillstand bringen darf. Nur seine weitere Inhaftierung, so gaben die Libyer den Briten zu verstehen, verhindere einen für britische Firmen profitablen Vertragsabschluss.

Das Hemd ist den Schotten näher als der Rock

Der schottische Regierungschef Alex Salmond und sein plötzlich ins grelle internationale Scheinwerferlicht gestoßener Justizminister Kenny MacAskill wissen sich daher einig mit der ansonsten nicht besonders geliebten Labour-Regierung von Premierminister Gordon Brown.

Schotten mögen zwar mitunter einen Kilt tragen, aber auch ihnen ist das Hemd näher als der Rock. Und die existentielle Energiekrise, die Großbritannien nach Überzeugung von Experten in den kommenden Jahren droht, wird nicht am Hadrianswall, der alten englisch-schottischen Grenzlinie, haltmachen.

Übrigens haben auch die Amerikaner volles Verständnis für die britischen Cousins - trotz der schrillen Töne, welche Außenministerin Hillary Clinton und eine parteienübergreifende Ansammlung republikanischer und demokratischer Senatoren anschlugen. Die Vorwürfe waren denn auch eher für die Öffentlichkeit in Gestalt der Angehörigen amerikanischer Lockerbie-Opfer gedacht.

Die Regierung in Washington wusste schon lange, dass Megrahi freikommen würde - und dass sie das nicht verhindern konnte. Sie selbst wäre wohl auch nicht anders verfahren, wenn Megrahi in US- Haft eingesessen wäre. Denn auch Amerika hungert nach Energie, auch amerikanische Unternehmen wollen sich ihren Teil an den neuen libyschen Vorkommen sichern. Das kann man Heuchelei nennen. Oder Realpolitik. Das Ergebnis ist dasselbe.

© SZ vom 21.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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