Lebensmittel:Mehrwert und Nährwert

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Für Klima, Böden und Wasser ist es Gift, wenn die Menschen viel Fleisch essen. Deshalb wäre es richtig, die Mehrwertsteuer darauf zu erhöhen. Doch Politiker von links bis rechts sind dagegen - sie wollen den Deutschen nicht zumuten, ihren Lebensstil zu ändern.

Von Michael Bauchmüller

Auf bestimmte Reflexe ist in diesem Land doch Verlass. Eine höhere Mehrwertsteuer auf tierische Produkte? Da sind sich von links bis rechts mal alle einig: Ausgeschlossen. Agrarminister Christian Schmidt von der CSU sieht darin eine "Strafsteuer" und wählt so, rein zufällig, dasselbe Vokabular wie der Bauernverband. Umweltministerin Barbara Hendricks, eine Sozialdemokratin, fürchtet eine Belastung von "Menschen mit kleinen Einkommen"; sie liegt damit auf einer Linie mit der Linkspartei. Selbst die Grünen wollen nichts davon wissen: Lieber solle der Staat bessere Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft durchsetzen.

Diese Ablehnung hat der Vorschlag nicht verdient. Tierische Produkte unterliegen, wie viele Nahrungsmittel, einem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent. Das Umweltbundesamt hat die Debatte losgetreten, es zählt den Rabatt zu den umweltschädlichen Subventionen - schließlich gehen mit der Tierhaltung ungleich höhere Emissionen einher als etwa mit dem Anbau von Gemüse. Um den gleichen Nährwert zu erzeugen, beansprucht sie größere Flächen; ihre Rückstände sickern in Form von Gülle bis ins Grundwasser. Weil sich mit bestehenden Weiden das hiesige Vieh nicht ernähren lässt, importieren Landwirte in großem Stil Kraftfutter aus dem Ausland, wo Flächen gerodet werden, damit mehr Soja wachsen kann. Für das Klima, die Böden, das Wasser ist der hohe Fleischkonsum Gift. Vom Schicksal vieler in Massen gehaltener Tiere ganz zu schweigen.

Den Ministern Schmidt und Hendricks dürfte das alles nicht neu sein. Erst im November empfahl Schmidts wissenschaftlicher Beirat die Abschaffung des Steuerprivilegs, um den Konsum tierischer Produkte zu drosseln. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert dasselbe schon seit Jahren. Doch wenn Wirtschaftslobby und Verbraucher zusammenstehen, hat die sachliche Debatte keine Chance.

Fleisch ist zu billig - deshalb wäre es richtig, die Steuer zu erhöhen

Dabei spricht einiges für ein Ende des Privilegs. Auf nichts reagieren Verbraucher eher als auf den Preis. Hungern muss deshalb niemand, denn es bleiben noch reichlich Nahrungsmittel zum ermäßigten Steuersatz. Sie haben denselben Nährwert mit weniger Umweltfolgen, oft sind sie gesünder. Die Mehreinnahmen aus der Fleisch-Besteuerung ließen sich sogar dafür verwenden, ermäßigte Steuersätze weiter abzusenken. Das Umweltbundesamt hat genau das vorgeschlagen. Die Alternativen zum Fleisch würden so für alle billiger.

Dennoch führen die Gegner die Gerechtigkeit ins Feld. Stimmt ja auch: Wer wenig verdient, den trifft eine höhere Mehrwertsteuer um so härter; so wie jede Verbrauchsteuer, sei es für Tabak oder Sprit. Aber muss der Staat Sorge tragen für billiges Fleisch? Die Frage birgt Emotionen. Das erklärt, warum wirklich alle Parteien ihr ausweichen, selbst die Grünen: Bloß nicht noch mal eine Verzichtsdebatte riskieren wie einst wegen des Veggie-Days.

Was aber dann? Wer das Problem jenseits lästiger Steuerfragen angehen will, verlangt mehr Ökolandbau und strengere Auflagen. Beides ist gut und richtig. Nur hat auch das Öko-Rind einen Fußabdruck. Und höhere Auflagen in Deutschland allein würden vor allem den Importeuren von Billigfleisch nützen. Nicht der Konsum, nur die Herkunft tierischer Produkte würde sich ändern. Dagegen träfe eine höhere Mehrwertsteuer alle gleichermaßen, heimische wie ausländische Erzeugnisse.

So enthüllt die Debatte die ganze Scheinheiligkeit bei Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Es braucht nicht viel Fantasie, um die Grenzen gegenwärtiger Lebensstile zu erkennen. Sie taugen nicht für die Welt der künftig neun Milliarden, sie vertragen sich nicht mit echtem Klimaschutz. Politiker aller Parteien wissen groß darüber zu reden. Aber wehe nur, die Konsequenzen daraus treffen den Lebensstil der Deutschen.

© SZ vom 09.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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