Leben im Gazastreifen:Klub der Ritter

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Westlich des Flüchtlingslagers Dschabalia, im "Club der palästinensischen Ritter", kann man 40 bis 50 bestens gepflegte Pferde reiten - ungestört von den stundenlangen Stromausfällen, die sich an den meisten Tagen ereignen. Hier eine Archivaufnahme aus dem vergangenen Mai. (Foto: Ali Ali/dpa)

Im Gazastreifen brodeln der Hass auf Israel und der Tugendterror der Hamas. Israel hat deshalb das Gebiet abgeriegelt, liefert aber dennoch edle Rösser und Spezialfutter an reitbegeisterte Palästinenser. Ihr weltliches Vergnügen weckt den Argwohn der Islamisten.

Eine Reportage von Sonja Zekri

Der weiße Hengst tänzelt, steigt und lässt die Augen rollen. Er wittert die Stuten, die Freiheit. Wenn auch nur eine relative: Ein Rund voller Sand hinter Mauern. Auch der Schimmel, ein Vollblut-Araber, ist den Gesetzen von Gaza unterworfen. Und die geben Mensch und Tier nur einen eingeschränkten Radius.

Nur: Hier, im "Klub derDRitter" von Dschabalia, im Norden des Gazastreifens, könnte man das glatt vergessen. Draußen ist das Meer, der Müll und die Not, ist ein überbevölkerter Flecken Küste, den einige Palästinenser bitter "Gazablanca" nennen. Aber hier drinnen erstrecken sich kleine Rasenflecken, Boxen für 40, 50 bestens gepflegte Pferde, viele in Privatbesitz und wie die Villen oder die großen Autos Beweis dafür, dass Gaza eben nicht nur Elend ist, dass einige hier sehr gut leben.

So elegant war es nicht immer. Amal Jari formuliert es etwas umständlich. "Die neue Regierung hat den Klub anfangs vernachlässigt", sagt sie: "Bis heute mieten wir diesen Ort vom Ministerium für Gesundheit und Sport, aber die tun eigentlich nichts für uns." Sie ist die Managerin des Ritter-Klubs, und neben ihr sitzt ein Herr mit Vollbart, der sehr genau zuhört, aber man begreift es auch so: Die neue Regierung ist die Hamas, und dieser Ort das Gegenteil von dem, was die Islamisten für den Gazastreifen vorgesehen haben. Die Hamas nervt die Palästinenser mit ihrer Prüderie und ihrem Tugendterror: Wer Hand in Hand geht, hat besser eine Heiratsurkunde dabei. Mann und Frau, die sich zur Begrüßung umarmen, werden drohend zurechtgewiesen.

Heute ist im Ritter-Klub nicht viel los: Die Spuren des großen Regens sind noch zu sehen. In der Reitbahn steht knietief das Wasser. Aber wer Ferien vom tristen Gaza-Alltag machen will, wer es sich leisten kann - der kommt hierher. Auch Frauen. Unter den 200 "Rittern" von Gaza machen sie 40 Prozent aus. Sie reiten, sie springen, sie nehmen an Turnieren mit anderen Klubs in Gaza teil. "Wo sollen sie in Gaza sonst Sport treiben?", sagt Amal Jari. Und die Hamas? "Die Hamas ist draußen. Hier ist der Klub."

Es ist historischer Boden. Hier standen einst die Pferde von Palästinenserführer Jassir Arafat. Es gibt Bilder des Verehrten auf einem Braunen, der Leibwächter zu Fuß dahinter. Aber nach seinem Tod im November 2004 bombardierte Israel den Gazastreifen, und der Ritter-Klub wurde unbetretbar. Niemand wagte sich mehr her. Arafats Pferde verendeten.

Die Hamas kassierte Millionen Dollar Abgaben

Die neuen Pferde wurden - ausgerechnet - aus Israel eingeführt, auch Medikamente, Vitamine, Spezialfutter. Dabei kommt seit der Blockade nicht mehr viel aus Israel. Die Rettung für den Klub ist eine Gruppe wohlhabender Geschäftsleute, die nach wie vor nach Israel reisen dürfen. 2,7 Millionen Dollar haben sie damals in die heruntergekommene Anlage investiert, bis auf die Ställe praktisch alles neu gebaut. Und alles nötige heranschaffen lassen. Einige sagen, unter den Pferdeliebhabern seien auch Hamas-Mitglieder. Nur reisen die natürlich nicht nach Israel.

Der andere Weg, über den Gaza bis vor kurzem ziemlich zuverlässig mit der Außenwelt verbunden war, ist inzwischen schwierig geworden. Die Tunnel im Norden, die den Boden an der Grenze zu Ägypten perforieren, wurden vor kurzem durch den Regen geflutet, aber viel wichtiger noch: auf ägyptischer Seite zerstört. Unter dem Muslimbruder-Präsidenten Mohammed Mursi florierten die Tunnel, und die Hamas kassierte Millionen Dollar Abgaben.

Aber nun sitzt Mursi in Haft und mit ihm Tausende Islamisten, und die Muslimbrüder wurden soeben zur Terrororganisation erklärt. Seitdem ist die Hamas in Bedrängnis und außerdem ganz Gaza. Alles, was durch die Tunnel kam - Lebensmittel, Babynahrung, Zement, Bräute, Benzin - fehlt. Tausende Männer haben im Tunnelbusiness gearbeitet. Nun sind die meisten ohne Job.

Die Kühnsten kehren allerdings schon wieder zurück, Männer wie Aid Baraka, der zu graben begann, als er 17 Jahre war, der sich an goldene Zeiten unter dem 2011 gestürzten ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak erinnert, als Israel Gaza nach und nach einzäunte, das Geschäft noch verboten und die Preise hoch waren.

Heute ist er 29, blickt auf eine schier endlose Landschaft voller Gruben, Wälle, Plastikhallen und sieht die Anstrengungen auf der anderen, der ägyptischen Seite als routinemäßige Störung: "Graben wir ihn eben länger, lassen wir den Tunnel nicht direkt hinter der Grenze enden, sondern ein paar hundert Meter weiter." Die ersten pumpen schon wieder das Wasser ab. Noch einen Monat, schätzt er, dann sind auch die übrigen wieder da.

Für die Hamas ist das wichtiger als für den Ritter-Klub. Nur eines der Pferde wurde durch die Tunnel gebracht. Die Enge, die Dunkelheit, die Gefahr - immer wieder wurden Menschen verschüttet oder verstümmelt, das wollte man nicht riskieren. Die Hamas aber, einst als einzig wahre Widerstandsorganisation gefeiert, sieht sich Zorn und Spott ausgesetzt.

Der Politologe Akram Attala empfängt in einer Wohnung ohne Strom und so kalt, dass man die Atemwolken sieht. Die Hamas, sagt er, berauschte sich an ihrer Popularität: "Als sie an die Regierung gewählt wurde, dachte sie, sie ist die einzige, die Gaza regieren kann", sagt er. "Als der arabische Frühling ausbrach und in Ägypten die Islamisten an die Macht kamen, dachten sie, die Chilafa, der Gottesstaat, sei zum Greifen nah." Aber nun sind die Islamisten in Ägypten gejagt und in Gaza fehlt es an Wasser, Strom, Zement, Benzin. "Die Hamas kann die Krise nicht mehr kontrollieren."

Viele schimpfen erstaunlich offen über die Hamas, die mit ihrer Militanz erst Israel zur Strangulierung des Gazastreifens provoziert hat. Die zweite Intifada, die Entführung des israelischen Soldaten Gilad Schalit - danach wurde nicht nur Israel für die Palästinenser unerreichbar, sondern auch Ägypten. Ritter-Klub-Managerin Amal Jari hat lange im Gesundheitsministerium gearbeitet: "Früher habe ich nach Feierabend meine Tasche gepackt und bin nach Ägypten gefahren", sagt sie, "heute haben wir nicht mal mehr Wasser, um uns die Hände zu waschen."

Wer kann schon gegen Märtyrer demonstrieren?

Weiß die Hamas das? Ja, sagt die neue Regierungssprecherin Israa al-Mudallal: "Sie wissen, dass sie nicht mehr so populär sind wie früher. Aber sie sagen den Menschen: Wollt ihr das Recht auf euer Land aufgeben? Auf die Freilassung der Gefangenen?" Hamas kontrolliere die Straße, sagt sie, aber das reicht nicht. "Wir brauchen neue Wahlen, eine neue Legitimität. Hamas ist dazu bereit." Der Politologe Attala sieht noch eine Variante: "Wenn es wirklich größere Proteste gegen die Hamas gibt, schießt die Hamas eben ein paar Raketen auf Israel. Israel reagiert und tötet Hamas-Anhänger. Wer kann schon gegen Märtyrer demonstrieren?"

Die Ritter aus Gaza sind längst noch nicht außer Gefahr.

© SZ vom 31.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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