Langsames Internet:Anschluss verpasst

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Die neue Regierung will schnelle Verbindungen für alle - diesmal wirklich. Ist die Wende noch zu schaffen? Der Druck auf die Telekomkonzerne wächst, sie übertrumpfen sich mit neuen Versprechen.

Von Markus Balser

In Deutschland vielerorts Mangelware: Glasfaserkabel, die den Zugang zum schnellen Internet ermöglichen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Am Rande der Stadt Wolfach, in einem Seitental des Schwarzwaldes, starrt Thomas Kleinsorge minutenlang auf die Ladebalken seines Computers. Seine Firma Sachtleben Mining Services liefert komplizierte Schutzsysteme für den Bergbau. Es läuft gut, aber immer mehr läuft nur online. Ohne Videokonferenzen, E-Mails und elektronische Ausschreibungen geht nichts mehr. Die Menge der Daten, die durchs Netz muss, hat sich dramatisch verändert. Aber die Kabel im Gewerbegebiet Ippichen sind immer noch die alten. Trotz aller Versprechen der Politik herrscht im Kinzigtal digitaler Stillstand. Schon Ende dieses Jahres sollte der Ärger eigentlich Vergangenheit sein. Allen Deutschen spätestens 2018 schnellere Online-Verbindungen ins Haus zu legen - so lautete das Ziel bereits zum Start der vergangenen großen Koalition. "Damit es auf der Landkarte keine weißen Flecken mehr gibt", sagte der damalige Verkehrs- und Digitalminister Alexander Dobrindt. Milliarden standen bereit für die digitale Revolution und eine Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde für alle. Für Kleinsorge sind das Zahlen aus einer anderen Welt. Eine Videokonferenz mit Kanada? "Gerade abgebrochen. Nur Standbilder." Das Laden großer Dateien? "Manchmal könnten wir eine Stunde nach Hause gehen." Kleinsorge hat nachgemessen: Die Firma ist bei vier Megabit pro Sekunde nur mit Kriechgeschwindigkeit im Netz unterwegs. Bei Uploads sind es sogar nur jämmerliche 0,4. Wollen seine Leute an großen Datenmengen arbeiten, kommen sie vor allen anderen um sechs Uhr in die Firma. "Datentechnisch arbeiten wir hier in der Steinzeit", klagt Bergbau-Unternehmer Kleinsorge.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein "digitales Entwicklungsland"

Das schnelle Internet wird immer wichtiger. In einigen Jahren wird es überall unverzichtbar sein. Nötig sein werden dann Übertragungsraten von 100 Megabit und mehr. Selbstfahrende Autos sollen in Echtzeit Informationen verarbeiten - und zwar überall im Land. Herzschrittmacher sollen per Funk mit Computern kommunizieren, Drohnen Pakete zustellen. Doch in Deutschland geht es an vielen Orten zu wie im Schwarzwald. Vor allem auf dem Land sind die Deutschen auch digital in der Provinz. Im jüngsten internationalen "State-of-the-Internet-Report" liegt das Land weltweit gerade mal auf Position 25. Südkoreaner surfen doppelt so flott. Bei den zukunftsträchtigen Glasfaser-Leitungen kommt Deutschland sogar nur auf Platz 28 von 32 Ländern der OECD.

Deutschland sei noch immer ein "digitales Entwicklungsland", monierte kürzlich die Bertelsmann-Stiftung. Experten sehen vor allem einen Grund: die rückständige Infrastruktur. Während laut Fraunhofer Institut in Estland mehr als 70 Prozent, in Schweden fast 60 Prozent, in Spanien immer noch mehr als 50 Prozent der Haushalte direkt verfügbare Glasfaserverbindungen haben, sind es in Deutschland gerade mal sieben Prozent. Auf dem Land sogar nur 1,4.

Wieder kündigt gerade eine neue Regierung an, das schnelle Internet nun wirklich in ganz Deutschland verfügbar zu machen. 2025 soll sogar ein Rechtsanspruch bestehen. Und zwar für Gigabitnetze mit Übertragungsraten von 100 Megabit in der Sekunde. Denn dass die Ladebalken in Ippichen minutenlang nicht vom Bildschirm verschwinden, ist mehr als ein Ärgernis. Es macht klar, dass der Fortschritt gerade an weiten Teilen des Landes vorbeizieht. Die Zweifel wachsen, ob die Wende zum Guten wirklich gelingt. In Mecklenburg-Vorpommern spürt man am stärksten, wie groß die Aufgabe ist. Große Flächen, wenige Bewohner. Während in Großstädten ein harter Kampf um Kunden tobt, lassen sich Telekommunikationskonzerne hier auf dem Land Zeit beim Ausbau. "In vielen Gemeinden kennt man schnelles Internet nur vom Hörensagen", sagt Claus Ruhe Madsen, Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Rostock. 2014 lag der Anteil schneller Breitbandverbindungen im nordöstlichen Bundesland bei 15 Prozent. "Daran hat sich bis heute nicht viel geändert", klagt der Däne Madsen, der als Manager mehrere Möbelhäuser führt. Die Schuld sieht Madsen auch in der Politik. Als erstes Bundesland hatte Mecklenburg-Vorpommern den flächendeckenden Glasfaserausbau auch mit Landesmitteln beschlossen. Das Geld ist für 93 Projekte da. Doch die Umsetzung stockt. "Viel zu lange Planungs- und Genehmigungsprozesse" beklagt Madsen. Dabei dränge die Zeit. Wer heute kein schnelles Internet habe, für den zähle jeder Tag. "Unternehmen können nicht bis 2025 warten."

Gigabit-Tempo für ganz Bayern? Die neuen Versprechen der Telekom-Branche

In den kommenden Monaten wird auch der Druck auf die Telekombranche wachsen, mehr zu tun. Sie ist wegen zu vollmundiger Versprechen in die Kritik geraten. Zuletzt übertrumpften sich Anbieter mit Ankündigungen. Unitymedia will Bochum als erste deutsche Großstadt zur Gigabitcity machen, für 2019 verspricht Vodafone Kabel Deutschland mit Bayern ein ganzes Bundesland auf Gigabit-Datentempo zu beschleunigen. Die Realität sieht für viele Nutzer anders aus. Die Bundesnetzagentur stellte fest: Über verschiedene Verbindungsarten und Anbieter hinweg erreichten Kunden die ihnen versprochene maximale Geschwindigkeit oft nicht, klagte Jochen Homann, der Chef der Bundesnetzagentur. Die will nun durchgreifen, wenn Telekom-Anbieter ihre Versprechen nicht halten, und notfalls Strafen verhängen. In den kommenden dreieinhalb Jahren soll nun vor allem mehr Geld in den Ausbau der Gigabit-Netze fließen. Zehn bis zwölf Milliarden Euro will der Bund bereitstellen, um Kupfer- durch Glasfaserkabel zu ersetzen. Zur Finanzierung will die große Koalition Erlöse aus der Versteigerung neuer Mobilfunkfrequenzen nutzen. Hier droht allerdings der nächste Fehler, fürchten Experten: Statt den schnellen Ausbau zur Bedingung zu machen, will die Regierung versuchen, möglichst hohe Einnahmen zu erzielen. Dann aber könnte auch das mobile schnelle Internet auf sich warten lasen.

In Ippichen hat Thomas Kleinsorge die Hoffnung jedenfalls aufgegeben. Der Unternehmer will nun selbst ein 300 Meter langes Kabel vom nächsten Glasfaseranschluss in seine Firma legen lassen. Kosten: geschätzte 75 000 Euro.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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