Baden-Württemberg:Grün-Rot liegt vorn

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Sensation in Stuttgart: Die CDU erleidet in ihrem Herzland Baden-Württemberg ein historisches Debakel, Ministerpräsident Mappus verliert offenbar die Macht. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik könnten die Grünen einen Ministerpräsidenten stellen - das vorläufige Ergebnis sieht die Partei mit Spitzenkandidat Kretschmann knapp vor dem wahrscheinlichen Koalitionspartner SPD.

Oliver Das Gupta

Politische Zeitenwende in Baden-Württemberg: Deutschlands Südwesten steht nach 58 Jahren ununterbrochener CDU-Herrschaft vor einem Regierungswechsel. Bei der Landtagswahl kamen die Christdemokraten laut dem vorläufigen Ergebnis auf lediglich 39,0 Prozent; der bisherige Koalitionspartner FDP verlor die Hälfte ihrer Stärke und erreichte 5,3 Prozent.

Es zeichnet sich ein historischer Machtwechsel im Ländle ab: Der Spitzenkandidat der Grünen und mögliche nächste baden-württembergische Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, jubelt im Landtag in Stuttgart gemeinsam mit seinen Parteianhängern. (Foto: dpa)

Freuen konnte sich die bisherige Opposition: Die SPD verlor leicht und kam auf 23,1 Prozent. Deutlich profitieren die Grünen von der Erosion des bürgerlichen Lagers. Die Partei kann ihr Ergebnis von 2006 verdoppeln und schaffte 24,2 Prozent. Falls dieser knappe Vorsprung bleibt, wird Spitzenkandidat Winfried Kretschmann Ministerpräsident - ein Ergebnis von historischer Dimension: Die Grünen stellen mehr als 30 Jahre nach der Gründung der Bundespartei einen Regierungschef.

Für die CDU bedeutet der 27. März ein doppeltes Debakel: Ein verlorenes Bundesland und eine massive Niederlage für Bundekanzlerin Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition. Seit 1953 - Kanzler Konrad Adenauer regierte damals noch - stellte die Union den Ministerpräsidenten in der Villa Reitzenstein. Das "Ländle" galt bislang als das Herzland der CDU. Lange Zeit war für die schwäbischen und Badener Christdemokraten nicht die Frage, ob sie Landtagswahlen gewinnt - sondern, ob sie einen Koalitionspartner benötigt oder alleine regieren kann.

Zahlreiche "Schwarze" aus dem Südwesten machten Karriere in Bonn und Berlin, Kurt-Georg Kiesinger brachte es sogar zum Kanzler. CDU-Ministerpräsidenten wie Hans Filbinger, Lothar Späth und Erwin Teufel schafften es, das strukturkonservative Land zur Herzkammer der CDU zu machen. Über Politker-Generationen bestimmte der zweitgrößte CDU-Landesverband die Linie der Bundes-CDU wesentlich mit, wie zuletzt in der Atomdebatte und beim Thema Stuttgart 21 deutlich wurde: Beide Male schwenkte CDU-Chefin Angela Merkel auf die Linie von Ministerpräsident Stefan Mappus ein. Im Herbst verband die Kanzlerin in einer Rede vor dem Bundestag sogar das Bahnhofsprojekt mit der Landtagswahl - und erklärte den Urnengang zu einem bundespolitischen Volksentscheid über die Zukunft des Landes.

Stuttgart 21 und Atomstreit - was Mappus schadete

Mappus geht in die Landesgeschichte als Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit ein - und in der CDU-Historie als derjenige, der die Bastion Baden-Württemberg verloren hat. Seit seinem Antritt im Februar 2010 war Mappus durch seinen bisweilen rüden Regierungsstil aufgefallen, mit seinem Namen verbanden viele Bürger Negatives: Die Eskalation um Stuttgart 21, der rustikale Pro-Atom-Kurs sowie den umstrittenen Rückkauf der EnBW-Anteile. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima und die darauf erfolgte Atomwende des schwarz-gelben Lagers hatte außerdem viele CDU-Stammwähler verstört.

Grünen-Spitzenkandidat Kretschmann, 62, der vor mehr als 30 Jahren die Grünen in Baden-Württemberg mitgegründet hat, scheint vielen als seriöse Alternative zum wesentlich jüngeren Mappus erschienen zu sein. Der bisherige Grünen-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag sagte unlängst im Interview mit sueddeutsche.de, er halte sich für einen Liberalen - "mit starken konservativen Ecken". Kategorisch ausgeschlossen hatte er keine Koalition, wohl aber beteuerte er seine starke Präferenz für die Sozialdemokraten: Zuletzt war er mit SPD-Frontmann Schmid oft gemeinsam aufgetreten.

Der grüne Triumph bedeutet gleichzeitig eine herbe Niederlage für die FDP: Baden-Württemberg galt bislang auch für die Freidemokraten als Stammland: Noch immer verstehen sich die Liberalen hier als Enkel von Parteigründer Theodor Heuß, dem späteren Bundespräsidenten, und Reinhold Maier - dem bislang einzigen FDP-Regierungschefs eines Bundeslandes. Maier folgten 1953 die CDU-Ministerpräsidenten, mit dem heutigen Tag endet die schwarz-gelbe Tradition.

In der CDU hoffte man bis zuletzt auf eine wundersame Wendung, auch wenn die Aussichten denkbar düster waren: Auch eine nicht öffentliche Last-Minute-Umfrage der Union hatte das Desaster vorhergesagt. Die Union befindet sich nun in einer vergleichbaren Situation wie die SPD 2005. Damals verloren die Sozialdemokraten ihr Stammland Nordrhein-Westfalen. Es war der Anfang vom Ende der damaligen rot-grünen Bundesregierung.

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