Kroatien:Der lange Arm der Jugoslawen

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Der ehemalige jugoslawische Geheimdienstchef Zdravko Mustač (rechts) und sein Mitarbeiter General Josip Perković vor dem Oberlandesgericht in München. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Zwei in Deutschland angeklagte Ex-Geheimdienstler wollen reden, und das gefällt nicht jedem. Immerhin geht es um Mord.

Von Ronen Steinke, München

Im derzeit größten Prozess gegen ausländische Geheimdienstler in Deutschland haben sich am Dienstag die Überraschungen ein wenig überschlagen. Erst meldete sich ein lange vermisster Zeuge aus der Versenkung zurück, ein einstiger Zuträger des jugoslawischen Staatssicherheitsdienstes SDS, der in Berlin seit den Siebzigerjahren Exilanten bespitzelt hatte. Dann ließen auch die Angeklagten, zwei ehemalige jugoslawische Geheimdienstchefs, wissen: Sie wollten reden. Wohl wahr, sie hätten seit zwei Jahren kein Wort sagen wollen zu dem gegen sie erhobenen Vorwurf, sie hätten 1983 einen kroatischen Exilanten in dessen Garage in Wolfratshausen bei München erschießen lassen. In Kürze aber wollten sie ihr Schweigen brechen, so kündigten Josip Perković und Zdravko Mustač - einst operativer und politischer Chef des SDS in Kroatien - am Rande des Prozesses vor dem Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts an.

Im Prozess ist die Beweisaufnahme schon weitgehend abgeschlossen, die Ermittler haben zahlreiche Dokumente aneinandergefädelt. Mit einem Urteil war bald gerechnet worden, Ende Juli oder Anfang August. Dieser Termin wäre dann mitten in die heiße Wahlkampfphase in Kroatien gefallen. Am 11. September wird dort gewählt. Die Wahl wurde erst vor zwei Wochen anberaumt, weil die bisherige Regierungskoalition zerbrochen war. Mit Blick auf den politischen Kalender sind die überraschenden Wendungen vom Dienstag also auch eine kleine, aber wirkungsvolle Verzögerung: Ein Urteil wird es vor der Wahl nicht mehr geben.

In Deutschland hat das Interesse an diesem Prozess nach inzwischen 120 Verhandlungstagen merklich nachgelassen, in Kroatien hingegen ist er weiter Stoff für die Abendnachrichten: Je mehr Details über die Verbrechen des sozialistischen jugoslawischen Regimes ans Licht kommen, umso mehr geraten die Zagreber Alt- und Neu-Sozialisten, die politisch eine wichtige Rolle spielen, in die Defensive.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft sollen die beiden Ex-Geheimdienstchefs Josip Perković und Zdravko Mustač hinter dem Mord an Stjepan Đureković stehen, eines Gegners des jugoslawischen Regimes. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe. 25 Jahre sind vergangen, seitdem der sozialistische Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfallen ist. Kroatien wurde damals unabhängig. Aber so viel wie in den vergangenen beiden Jahren war in dieser ganzen Zeit nicht ausgegraben worden über das Spitzel- und Gewaltsystem, mit dem das sozialistische Regime bis 1991 versucht hatte, diesen staatlichen Zerfall aufzuhalten und nationalistische Fliehkräfte zu stoppen. Dissidenten wurden mit Gewalt verfolgt, bis ins Ausland. Besonders Deutschland, bei kroatischen Nationalisten ein beliebtes Exil, stand im Fokus. Der Mord in Wolfratshausen ist nur ein Fall von vielen, die deutschen Ermittler haben ihn exemplarisch ausgewählt.

Es waren die Sozialisten Kroatiens, die diesen Münchner Prozess am liebsten verhindert hätten. Mit einem eigens verabschiedeten Gesetz, von Spöttern Lex Perković genannt, versuchten sie 2013, eine Auslieferung der beiden Beschuldigten an Deutschland zu verhindern. Die rechtskonservative Partei HDZ hingegen sah in einem solchen Prozess eine Chance, die Vergangenheit endlich aufzuarbeiten. Und die deutsche Bundesanwaltschaft beharrte so lange, bis sich innerhalb Kroatiens die Befürworter einer Auslieferung durchsetzen konnten. Für eine Strafverfolgung in Kroatien sind die Voraussetzungen offenbar noch immer nicht gegeben.

Aufgearbeitet wird so, mit dreißigjähriger Verspätung, auch eine Verstrickung der Deutschen. Jugoslawen ermordeten Jugoslawen, die Deutschen hielten sich weitgehend heraus: Etwa 30 Exilkroaten kamen von Ende der Sechziger- bis Ende der Achtzigerjahre in der Bundesrepublik gewaltsam ums Leben, aufgeklärt wurden die Fälle damals nicht. "Übergeordnete Interessen" deuteten die ehemaligen Politiker Gerhart Baum (FDP) und Klaus von Dohnanyi (SPD) als Zeugen in diesem Münchner Prozess an: Das gute Verhältnis zum Staat Jugoslawien war den Regierungen von Willy Brandt, Helmut Schmidt und anfangs auch der von Helmut Kohl wichtig. Das Regime in Jugoslawien galt als freundlicher Vermittler in den Osten.

Der Zeuge, der sich am Dienstag wortreich äußerte, stiftete eher Verwirrung. Vinko Sindičić, einst ein Helfer des jugoslawischen Geheimdienstes in Berlin, behauptete, der Angeklagte Perković lasse sich entlastende Zeugenaussagen einiges kosten. 1000 Euro hier, mehr als 30 000 Euro dort. Woher der Zeuge das alles wisse? Er lachte laut auf. "Aus vielen Quellen. Das reicht." Der Prozess soll am kommenden Dienstag fortgesetzt werden.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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