Kriegsverbrechertribunal:Vom Hauptdarsteller zum Regisseur

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Spöttisch ist der mutmaßliche Kriegsverbrecher Ratko Mladić bislang in Den Haag aufgetreten. Als Angeklagter ließ er keinen Zweifel daran, dass er das Gericht nicht ernst nimmt. Nun hat die zweite Hälfte des Prozesses begonnen, in der die Verteidigung das Wort hat. Mladić bereitet das sichtbares Vergnügen.

Von Ronen Steinke, München

Ratko Mladić ist in Den Haag ein makabrer Meister der Bühne geworden. Man hat ihn hier schon mit Bärenfellmütze auf dem Kopf gesehen, vielleicht seine bizarrste Einlage. Die Richter mussten den mutmaßlichen Kriegsverbrecher damals lange bitten, bevor er den Kopfschmuck wieder auszog im klimatisierten Gerichtssaal des Jugoslawientribunals der Vereinten Nationen. Er zelebrierte den Akt mit spöttischen Bemerkungen, die verdeutlichten, wie wenig er das Gericht, das er "satanisch" nennt, ernst nimmt.

An diesem Montag nun nimmt Mladić in seinem eigenen Prozess in der hintersten Reihe Platz. Was beim Amphitheater-Aufbau dieses Raumes bedeutet: in der höchsten Reihe. Mladić hat hier den Überblick. Er braucht jetzt nicht mehr Rede und Antwort zu stehen zu den Bluttaten, die seine Soldaten im Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995 verübten, in Sarajewo vor allem und in Srebrenica.

Denn dieser Montag markiert in Den Haag einen Wendepunkt. Es beginnt die zweite Halbzeit des Prozesses, was nach der anglo-amerikanischen Prozessordnung des Tribunals bedeutet: Die Verteidigung hat das Wort. Von nun an ist Mladić nicht nur Hauptdarsteller. Sondern auch Regisseur. Und die UN übertragen alles per Videostream ins Netz.

Mladić präsentiert als ersten Zeugen zu seiner Entlastung einen ehemaligen Offizier seiner Truppe, Mile Sladoje. Die Richter kennen ihn, denn Sladoje hat in Den Haag schon in einem anderen Prozess zu Protokoll gegeben, dass er nie den Befehl erhalten habe, zivile Ziele in der eingekesselten Stadt Sarajewo anzugreifen und auf Bürger zu schießen.

Was bedeutet: Die Befehlshaber seien unschuldig. Sladoje ist inzwischen ein silberhaariger Mann, er trägt einen silbergrauen Anzug. Und was er mit Hilfe von Mladićs Verteidiger Miodrag Stojanović, und zu Mladićs sichtbarem Vergnügen am Montag präsentiert, das gibt vielleicht einen Vorgeschmack auf die Strategie, auf die der Angeklagte fortan setzt.

Mladić schweigt und schmunzelt

Im Gerichtssaal gibt es Bildschirme. Sie sind dazu gedacht, alte Gefechtskarten zu zeigen, damit das Gericht nachvollziehen kann, wie der Krieg damals verlief. Auf den Bildschirmen leuchtet jetzt eine bunte Karte auf. Sie zeigt einen kleinen Straßenzug in Sarajewo, und alles Mögliche darin ist in rot und blau eingekreist.

Der amerikanische Staatsanwalt Dermot Groome bittet um Erklärung. Der Zeuge setzt zu einer längeren Rede an. Der Staatsanwalt unterbricht ihn immer wieder, und schließlich sagt er, an die Richterbank gewandt: "Euer Ehren, ich muss gestehen, ich habe den Überblick verloren." Richter Bakone Moloto antwortet: "Ich bin auch verloren."

Der Zeuge schmunzelt und setzt von Neuem an. So geht das eine Stunde lang. Auch Mladić, der selbst kein Wort sagt, schmunzelt.

Irgendwann meint der Staatsanwalt, verstanden zu haben: "Der blaue Kreis, den Sie da gemalt haben, dient einfach nur dazu, eine bestimmte Straße korrekt zu markieren? Das ist militärisch gar nicht von Belang?"

Die Antwort des Zeugen: "Ungefähr." Am 22. Januar 1994 zerfetzten in Sarajewo drei Mörsergranaten Kinder, die vor einer Schule im Stadtteil Novi Grad spielten. Darum geht es auf der bunten Karte. Der Zeuge will zeigen, dass die Granaten gar nicht von Mladićs bosnisch-serbischer Armee gekommen sein können.

Schuld müssten andere gewesen sein. Die Begründung dafür ist nach vier Stunden Aussage noch nicht ganz klar geworden, aber es bleibt nun mehr als genug Zeit, um dies noch fortzusetzen. Der Angeklagte Mladić hat ein genau festgelegtes Stundenpensum, das er für Zeugen nutzen darf, es ist dieselbe Menge, die zuvor auch den Anklägern zustand: Es sind 207,5 Stunden.

So lange müssen die Richter zuhören.

© SZ vom 20.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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