Kretschmann:Das Kreuz mit den Grünen

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Er will Autos mit Verbrennungsmotoren auch nach 2030, er bevorzugt die klassische Ehe - Winfried Kretschmann wird zunehmend zum Paria der Grünen. Wäre da nicht sein Erfolg bei den Wählern.

Von Josef Kelnberger

Wird Winfried Kretschmann auf seine erstaunlichen Beliebtheitswerte angesprochen, verweist er immer wieder gern auf Jesus. Man mag das für unbescheiden halten, aber sein Diktum stimmt: Zwischen Hosianna und Kreuziget-ihn liegen manchmal nur drei Tage. Es hat nach seinem Wahlsieg nun sogar mehr als ein halbes Jahr gedauert, bis die Häscher sich Gehör verschaffen. Zaghafte Klima- und verfehlte Industriepolitik, ja sogar latente Homophobie werfen ihm Parteifreunde vor. Das Kreuz, um im Bild zu bleiben, trägt die Farbe Grün, und das kommt wenig überraschend.

Zum einen hat eine Oppositionspartei im Bund legitimerweise andere Interessen als der Ministerpräsident Baden-Württembergs. Der kann, zumal wenn er mit der CDU regiert, auch als Grüner der Automobilindustrie nicht apodiktisch vorschreiben, im Jahr 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr zu bauen. Es geht um die Lebensader seines Landes, und die lässt sich, jedenfalls seriös, nicht aufs Jahr genau regulieren. Zum anderen weckt Winfried Kretschmann mit seinem liberalen, pragmatischen Verständnis von Politik verlässlich die gesinnungspolizeilichen Reflexe seiner Partei.

Er bevorzuge die "klassische Ehe", das hat die Dämme brechen lassen

In einem Essay für die Zeit, der wie eine Bewerbungsrede um das Amt des Bundespräsidenten klang, verteidigte er den gesellschaftlichen Fortschritt, den die Grünen erkämpft haben. Er warnte aber davor, den Menschen einen grünen Lebensstil vorschreiben zu wollen. Dass er die "klassische Ehe" als bevorzugtes Lebensmodell der Deutschen guthieß, hat alle Dämme brechen lassen. So entstand das grüne Bild von Kretschmann, der es sich auf seine alten Tage an der Seite der Autobosse bequem macht und gemeinsam mit der CDU seine Spießerseele auslebt.

Dahinter steckt viel Ressentiment, aber auch Kalkül im Richtungsstreit vor der Bundestagswahl. Wenn die Grünen in Berlin nun gerade die Möglichkeiten einer Bundesregierung mit SPD und Linkspartei ausloten und Kretschmann in Stuttgart mit der CDU mehr Polizeistellen schafft, sind die beiden Pole der Partei beschrieben. Wer Kretschmann haut, trifft die Realos. Tatsächlich hat sich Kretschmann die grün-schwarze Koalition nicht gewünscht. Aber er tut alles, um sie zum Erfolg zu führen. Und auch wenn er dabei Fehler begangen hat, etwa seine Geheimabsprachen, so funktioniert das Bündnis bislang reibungslos. Wenn es um konkreten Umweltschutz geht, etwa darum, Schmutz-Diesel aus den Innenstädten zu verbannen, ist die CDU erstaunlicherweise näher bei den Grünen als die SPD in rot geführten Bundesländern.

Die Grünen werden sich bei ihrer Positionsbestimmung weiterhin an dem störrischen Alten im Südwesten reiben, der nichts davon hält, nach Robin-Hood-Art Vermögen zu besteuern und Bosse an die Leine zu nehmen. Nüchtern betrachtet, liegt das grüne Potenzial in Baden-Württemberg bei 30 Prozent, so hoch wie nirgendwo sonst. Mit einem rot-rot-grünen Projekt wird es aber nicht auszuschöpfen sein, nur mit dem Modell Kretschmann.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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