Kranker Dalai Lama:Tibetisches Orakeln

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Der Dalai Lama ist krank. Schon überschlagen sich die Gerüchte über seinen Gesundheitszustand - seine Bedeutung macht jedes Krankenbulletin zum Politikum.

Stefan Kornelius

Vielleicht lüftet sich der Schleier in einer Woche, vielleicht dauert es noch etwas länger, vielleicht wird der Druck der Gerüchte schon vorher unerträglich. Wie die Kreml-Beobachter im Kalten Krieg lauern Tibet-Experten auf Zeichen und Nachrichten aus dem indischen Dharamsala, um Klarheit über den Gesundheitszustand des Dalai Lama zu gewinnen. Abgeschirmt von der Welt soll sich das geistige Oberhaupt der Tibeter in seiner indischen Exilheimat von einem Krankenhausaufenthalt erholen.

Der Zustand des Dalai Lama ist ungewiss. (Foto: Foto: AFP)

Was den 73-Jährigen tatsächlich plagt, ob er ernsthaft krank ist und ob er wie angekündigt in einer Woche ein Gebetstreffen anführen kann, bleibt ungewiss. Dabei ist die Nachricht von ungeheurer Bedeutung, denn ohne den Dalai Lama würde sich die Situation in und um Tibet schlagartig verändern.

Ein müde wirkender Mönch

Am 1.September war der Dalai Lama nach vier Tagen Aufenthalt aus einem Krankenhaus in Mumbai (Bombay) entlassen worden und "erfreut sich bester Gesundheit", wie ein Kliniksprecher mitteilte. Er sei nach Monaten der Kampagne und vielen Reisen erschöpft gewesen und habe über Schmerzen im Bauch geklagt, hieß es. Nun erhole er sich.

Ein Bild von der Rückkehr in Dharamsala zeigt in der Tat einen müde wirkenden Mönch mit einem Pflaster in der Armbeuge, dort wo wohl eine Infusionskanüle gelegt worden war. Kurz nach der Rückkehr ereilte den Dalai Lama die Nachricht vom Tod seines ältesten Bruders Taktser Rinpoche, 86-jährig in den USA verstorben. Taktser Rinpoche war eine bestimmende Figur der tibetischen Guerilla- und Exilbewegung in den fünfziger Jahren, er soll dem Dalai Lama nahegestanden haben wie kein Zweiter.

Gleich nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus sagte das Büro des Dalai Lama Reisen nach Mexiko und in die Dominikanische Republik ab. In dieser Woche wurde eine seit langem geplante Europa-Tour storniert, die den Dalai Lama unter anderem vor Tausende Anhänger in die neue Berliner Veranstaltungshalle hätte bringen sollen.

Ein Politikum erster Güte

Dankbar für die Absage wird Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen sein, die Ende Oktober zum Asem-Gipfel nach China reist und dort die Rückkehr zur Normalität im Umgang mit Peking begehen will. Zum Zerwürfnis war es gekommen, nachdem Merkel vor genau einem Jahr den Dalai Lama im Kanzleramt empfangen hatte. Ein Terminwunsch für diesen Oktober hätte ihr nur neue Scherereien eingebracht.

Der Gesundheitszustand des Dalai Lama ist ein Politikum erster Güte. Die Auseinandersetzung der Tibeter mit China und auch der Zusammenhalt des Volkes hängen maßgeblich von der Figur des geistigen Oberhauptes ab. Sollte der Dalai Lama in dieser Rolle nicht mehr auftreten, dann "wäre die politische Bewegung ohne Kopf und hätte ihren Star verloren", sagt Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und China-Experte. "Die Chinesen spekulieren auf diesen Zerfall, sie wollen den Prozess der Nachfolge lenken. Deswegen schießen die Spekulationen ins Kraut."

In Dharamsala wird indes noch nicht über das Szenario nachgedacht. Die Bedeutung des Mannes macht zwar jedes Krankenbulletin zum Politikum. Tibets Vertreter in Australien äußerte in einem Radio-Interview aber seine eigene Sicht der Dinge, die von vielen der tiefgläubigen Buddhisten geteilt werden dürfte: Der Dalai Lama habe versprochen, dass er 100 Jahre alt werde. Zur Sorge bestehe also kein Anlass.

© SZ vom 20.09.2008/jtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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