Konflikte:Wir können auch einig

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Die EU wirft Ankara „fortgesetzte illegale Handlungen“ vor. (Foto: Tolga Bozoglu/dpa)

Nach anfänglichem Zögern verständigen sich die EU-Staaten im Fall Skripal auf scharfe Worte an Russland - und wegen Zypern in Richtung Türkei.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner

Donald Tusk hat es eilig. Die spätabendliche Sitzung der Staats- und Regierungschefs läuft noch, da lässt er die Welt schon wissen, wozu sich die Europäer durchgerungen haben. Der Europäische Rat stimme mit der britischen Regierung überein, dass Russland "höchstwahrscheinlich" verantwortlich sei für den Giftanschlag von Salisbury, verbreitet der EU-Ratspräsident per Twitter.

Schon da ist klar, dass der britischen Premierministerin Theresa May ein großer Sieg gelungen war im Kreise ihrer Noch-EU-Partner. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung nämlich war noch eine sehr viel schwächere Formulierung zu lesen gewesen. Man nehme die britische Einschätzung "äußerst ernst, dass höchstwahrscheinlich die Russische Föderation verantwortlich ist", stand da noch. Das wäre wörtlich jene Formulierung gewesen, auf die sich zu Wochenbeginn die EU-Außenminister verständigt hatten, zur Enttäuschung der Briten. Die Regierung in London will unbedingt einen Beweis der Solidarität. So besteht May am Abend in Brüssel darauf, dass die EU sich ihrer klaren Schuldzuweisung an Moskau anschließt.

Dagegen gibt es Widerstand. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz will von May Genaues zur Beweislage hören. Aus deren Sicht führt die Indizienkette eindeutig von einer Parkbank im englischen Salisbury nach Moskau. Der Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia waren am 4. März bewusstlos auf dieser Parkbank gefunden worden. Nach britischen Angaben wurden sie mit dem in der Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Beide befinden sich in kritischem Zustand. Russland bestreitet jegliche Verwicklung.

Theresa May war dieser Sieg wichtig, auch wenn ihr Land bald die EU verlässt

Es gebe "keine andere plausible Erklärung" als eine Verantwortung Russlands, stellen die Staats- und Regierungschefs der EU nun in ihrer Gipfelerklärung fest. Es ist die Linie, die Deutschland und Frankreich vor Tagen zusammen mit den USA eingeschlagen hatten - und gegen die sich neben Österreich zum Beispiel auch Griechenland gewehrt hatte.

Dahinter steht eine Grundsatzfrage: Wie umgehen mit Russland? Noch tragen alle EU-Staaten die Sanktionen wegen der Annexion der Krim und der russischen Unterstützung für die Separatisten im Osten der Ukraine mit. Aber etliche sehnen sich nach einer Wiederannäherung an Moskau. Beim Gipfel setzt sich dann die Ansicht durch, dass dafür gerade nach dem Anschlag von Salisbury nicht die Zeit ist. Man stehe in "uneingeschränkter Solidarität zum Vereinigten Königreich", geloben die Staats- und Regierungschefs.

Was das konkret heißen soll, darum ringen sie vier Stunden lang. Die Briten haben 23 russische Diplomaten ausgewiesen, was Russland mit gleicher Münze vergolten hat. Sollen nun alle EU-Staaten dem Beispiel der Briten folgen, um ihnen zu zeigen, dass sie gegen Moskau nicht alleine stehen? Kanzlerin Angela Merkel will eine Abstimmung. Die gibt es nicht, aber der Däne Lars Rasmussen legt eine Liste der Willigen an. Am Ende zeigt sich etwa die Hälfte der EU-Staaten einschließlich Deutschlands und Frankreichs bereit, ebenfalls über die Ausweisung russischer Diplomaten und Geheimdienstleute nachzudenken. Das könnte laut Tusk schon am Montag geschehen. Und es wird beschlossen, den EU-Botschafter in Moskau, den Deutschen Markus Ederer, zu Konsultationen zurückzurufen - gegen den Widerstand von Ederers Chefin, der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. May gibt sich erleichtert.

"Die Bedrohung, die von Russland ausgeht, macht vor keinen Grenzen halt. Das ist eine Bedrohung unserer Werte", sagt sie. Deshalb sei es richtig, dass man in der EU zusammenstehe. Das war ihr offenkundig wichtig. Obwohl Großbritannien bald diese EU verlässt. Oder vielleicht gerade deshalb.

Russland reagiert verärgert. Außenminister Sergej Lawrow beschuldigt die britische Regierung, sie wolle die Krise verschärfen. London arbeite "fieberhaft" daran, auch andere EU-Staaten zu "konfrontativen Schritten" zu bewegen.

Und das ist nicht das einzige Thema, bei dem die EU ihre außenpolitischen Muskeln anspannt. Rau ist auch der Ton gegenüber der Türkei, mit der die Beziehungen schon heikel sind. Die Staats- und Regierungschefs werfen dem Land "fortgesetzte illegale Handlungen" vor. Gemeint ist das türkische Vorgehen im Streit mit Griechenland und Zypern. Im Februar hatte ein türkisches Patrouillenboot in der Ägäis ein griechisches Schiff gerammt. Zudem stoppten türkische Marineschiffe ein Bohrschiff des italienischen Ölkonzerns Eni, das vor Zypern nach Gas suchen wollte. Die Türkei fordert eine Beteiligung der türkischen Zyprer an den Gasvorkommen.

Die EU-Staaten erklären nun ihre "volle Solidarität" mit Griechenland und Zypern. Sie fordern die Türkei "dringend" auf, "diese Handlungen zu stoppen und die souveränen Rechte Zyperns zu respektieren, seine natürlichen Ressourcen in Übereinstimmung mit EU- und internationalem Recht zu erforschen und zu nutzen".

Die Türkei wies die Kritik zurück. Sie sei "inakzeptabel" und diene "den Interessen Griechenlands und der griechischen Zyprer", sagte Außenamtssprecher Hami Aksoy. Zudem äußerte die EU-Runde ihre "große Besorgnis über die fortdauernde Inhaftierung von EU-Bürgern in der Türkei". Das Gipfeltreffen der EU-Führung mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag soll dennoch stattfinden.

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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