Kolumne:Die Politik des Ordinären

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(Foto: N/A)

Donald Trump, Günther Oettinger und andere: Die gezielte Beleidigung von Minderheiten ist in der Politik heute salonfähig geworden.

Von Jagoda Marinic

Es gibt diese neue Lust an der Provokation. Lange nicht mehr war es so leicht für einen Machtgierigen, sich der Öffentlichkeit als Freiheitsheld zu verkaufen. "Mann" muss nur ein paar Minderheiten beleidigen und sich nach der öffentlichen Empörung darüber selbst als Opfer darstellen. Nachdem man also kräftig ausgeteilt und daraufhin kritische Reaktionen geerntet hat, stilisiert man sich in der nächsten Beleidigungsrunde zum Rächer aller ungerecht Behandelten.

In der Politik greift diese Methode um sich. Donald Trump ist natürlich der Riese unter den vielen Zwergen. Sein Wahlkampfslogan "Make America Great Again" lässt die Vereinigten Staaten mächtig klein wirken. Viel kleiner als sie sind. In Stil dieser Pseudo-Solidarität mit dem kleinen Mann machen derzeit einige gar nicht so kleine deutsche Politiker einen Jahrmarkt aus dem öffentlichen Leben.

So normalisiert man den ungepflegten Diskurs. Einer der deutschen Protagonisten ist Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitales und Anwärter auf einen höheren Posten in der EU. Als Kommissar für Digitales müssten ihm sowohl Twitter als auch Handyvideos bekannt sein. Vorträge reichen nicht erst seit gestern weit über die Veranstaltungssäle hinaus - ohne redaktionelle Filter. Das ermöglicht soziale Kontrolle. Doch gerade diese soziale Kontrolle führt bei Politikern wie Oettinger dazu, sich als Opfer zu stilisieren. Sie dürfen angeblich nicht mehr sagen, was sie denken. Das dürfen sie durchaus. Doch sie müssen ertragen können, dass andere das auch tun.

Wer wertorientiert debattieren will, wird heute der Politischen Korrektheit bezichtigt

Mit ihrer Selbststilisierung als Retter der freien Rede für Beleidiger machen Populisten das Reden zum Problem, dabei liegt das Problem im Denken. Politiker, die ein Land oder gar die Europäische Union repräsentieren, sollten in ihrem Denken den Werten, die von der Mehrheit dieser Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten erkämpft wurden, nahestehen.

Der Minderheitenschutz ist einer der Grundpfeiler westlicher Demokratien. Ist es Zufall, dass sich die Sprüche solcher Redner immer aus der vermeintlichen Überlegenheit über jene speisen, die in den vergangenen Jahrzehnten, nach mühevollem Kampf, mehr Rechte erlangt haben? Indem man die Minderheitenrechte ins Lächerliche zieht, die Gleichberechtigung der Schwächeren oder zahlenmäßig Geringeren zur Zielscheibe macht, höhlt man das demokratische Prinzip der Gleichheit aus. Man ebnet den Weg dafür, dass die Würde mancher Menschen öffentlich antastbarer zu sein scheint als die anderer.

Am Beispiel Oettinger sieht man auch: Diese Form der Provokation ist nicht neu. Oettinger zieht eine Kette solcher Skandale nach sich, ganz gleich, welches öffentliche Amt er innehatte. Die Immunität der Provokateure wird zu einem Glaubwürdigkeitsproblem für demokratische Institutionen. Darüber täuscht auch eine Entschuldigung nicht hinweg.

Wer sich das Video von Oettingers Rede in Hamburg ansieht, der wird auch bemerken, wie gewöhnlich die Reaktionen des Publikums auf Oettingers Beleidigungen ausfallen. Ein ganz normaler Abend, so erscheint es. Als er seine Kommentare zu gleichgeschlechtlicher Ehe, einer chinesischen Delegation oder Frauen von sich gibt, geht kein Raunen durch den Saal. Es sind keine Buh-Rufe zu hören, sondern Gelächter. Keine Pfiffe am Ende, sondern Applaus. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums spart nicht mit Kritik an einem "verblüffendem Überlegenheitsgefühl" bei manchen westlichen Politikern. "Wir hoffen, dass sie lernen, sich selbst und andere objektiv zu betrachten und andere zu respektieren und als gleichberechtigt zu behandeln." Das Publikum in Hamburg lachte in weiten Teilen mit. Diese Kritik könnte Publikum und Redner meinen. Die Lust mancher Bürger an der Provokation ist nicht geringer als die einiger Politiker. In Zeiten, in denen schon Bekanntheit politisches Kapital ist, wie man an Trump sieht, eine risikoreiche Konstellation.

Da ist diese kalkulierte Lust am neuen Macho-Gehabe, wie Trump es der Welt seit Monaten vorlebt. Wann ist ein Mann ein Mann, fragte Herbert Grönemeyer. Seit einer wie Trump politisch salonfähig wurde, scheint die Antwort darauf zu sein: Wenn er beleidigen kann. Natürlich gibt es auch Frauen, die auf diese Art ihren Mann stehen. Das Ordinäre hält Einzug in die Politik. Das Ordinäre wird zur Haltung erhoben. Zum Kampf um Werte. Oettinger fragt an diesem Abend tatsächlich auch: "Wollen wir unser Menschenbild einbringen in die globale Diskussion?" Ein Menschenbild hat Oettinger eingebracht. Und ein Bild von Deutschen gleich mit. Es ist das gute Recht von Bürgern, sich dagegen zu wehren, auf diese Weise repräsentiert zu werden. Solche Kritik wird jedoch seit einigen Jahren mit einem Maulkorb versehen: der Political Correctness.

Gegner der Political Correctness behaupten, die sogenannten Wertehüter machten es unmöglich, zu reden wie man denkt. Tatsächlich hat sich das inzwischen umgedreht: Jene, die versuchen, einen wertebasierten Diskurs zu führen, sollen einen Maulkorb erhalten, der Political Correctness heißt. Jene, die Provokation als Mittel der Kommunikation lieben, nutzen die Abkürzung "PC", um ein Argument aus dem Weg zu schaffen. Die bekannteste Gruppe sind die Wutbürger. Mit ihren Wutreden wird die Stimmung vergiftet, vor lauter Wut wird kein Argument mehr gehört.

Die Politik des Ordinären kennt keine echten Inhalte, sie weiß nicht, wie man eine gepflegte Beleidigung formuliert oder eine gekonnte Polemik, die zwar sitzt, aber zugleich die Möglichkeit zulässt, weiterhin in Beziehung zum anderen zu bleiben. Es war einmal ein Touché. Das Spektakel, welches Trump, Oettinger, Boris Johnson, Nigel Farage und viele andere ordinäre Provokateure derzeit bieten, ist das K.o. für den politischen Diskurs.

Jagoda Marinic , 39, ist Schriftstellerin und leitet das Interkulturelle Zentrum Heidelberg. Zuletzt erschienen von ihr der Roman "Restaurant Dalmatia" und das Debattenbuch "Made in Germany: Was ist deutsch in Deutschland?".

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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