Koalition:Ende der Defensive

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Harte Linie: Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Regierungserklärung zum Nato-Gipfel. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Union und SPD streiten, wie sie mit Russland verfahren sollen. In vielem sind sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier einig, doch sie senden unterschiedliche Botschaften. Die Harmonie in der Außenpolitik ist vorbei.

Von Stefan Braun

Am Donnerstag hat der Bundestag über Russland, die Nato, die deutsche Rolle dabei debattiert - und Frank-Walter Steinmeier ist stumm geblieben. Der Außenminister studierte Akten, spitzte hie und da die Ohren und unterschrieb das eine oder andere Dokument. Mehr aber wollte er an diesem Tag nicht beitragen. Sollte doch die Kanzlerin reden. Er mochte sich aufs Zuhören beschränken. Seit Wochen häufen sich zwischen Union und SPD die Nickeligkeiten. Und mittendrin steckt nicht nur Sigmar Gabriel als ein nach Linie suchender Vizekanzler. Mehr und mehr Reibung erzeugte zuletzt auch der Außenminister. Vor allem seine Mahnungen, die Nato möge nicht so viel mit dem Säbel rasseln, hatte unter den Christdemokraten zornige Reaktionen hervorgerufen. Dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann Steinmeier im Bundestag mit Lob überhäufte, dürfte dem Minister zunächst gefallen haben. Doch je länger die verbale Hilfe andauerte, desto stärker entstand der Eindruck, Steinmeier habe die Unterstützung nötig.

Das ist in der Politik selten ein gutes Zeichen. Es ist offensichtlich, dass die Zeiten für den Minister unangenehmer werden. Seit Wochen ist er draußen beim Publikum zwar der beliebteste Politiker, aber er kann an faktischen Erfolgen so viel nicht auf den Tisch legen. Noch unangenehmer ist es geworden, seitdem die Kanzlerin nach der Brexit-Entscheidung seine Einladung an die fünf anderen EU-Gründerstaaten kritisiert und kurz darauf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Steinmeiers Warnung vor einem Säbelrasseln hart attackiert hatte. Die Missstimmung in der Bundesregierung ist greifbar; der Eindruck macht sich breit, dass die gute Kooperation in der Außenpolitik nun nach zweieinhalb Jahren endet. Für Steinmeier gibt es dabei mehrere Problemstellen, aber einen Schmerzpunkt, und das ist der Umgang mit Russland.

Merkel tendiert zu einer harten Haltung

Auch das war am Donnerstag in der Bundestagsdebatte zum bevorstehenden Nato-Gipfel zu studieren. Kanzlerin Angela Merkel gab zwar nicht die totale Hardlinerin gegenüber Moskau. Aber sie ließ keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie steht. Sie zitierte die Gründungsakte der Nato und betonte, diese belege, dass es um rein defensive Motive und Ziele gehe. Sie schilderte die russischen Aggressionen der vergangenen zwei Jahre und versicherte, dass sie jedes Verständnis habe für die Sorgen der östlichen Partner. Und sie lobte die "Trendumkehr" bei den Rüstungsausgaben. Darin zeigten sich Solidarität und Verteidigungsbereitschaft, aber auf keinen Fall Aggressionen gegen Russland. All das wäre noch kein großer Widerspruch zur Linie der Sozialdemokraten. Aber der Auftritt der Kanzlerin zeigte, dass sie die Perspektive derer einnimmt, die für eine harte Linie plädieren - um glasklar die eigene Haltung zu betonen und um die Botschaft an Russlands Präsident Wladimir Putin zu senden, dass man wehrhaft bleiben werde.

Steinmeier teilt vieles davon, doch er bemüht sich zugleich um eine andere Botschaft. Das gilt für seine Mahnung, die Nato dürfe nicht nur auf Waffen und Kampfbereitschaft setzen. Und diese wird unterlegt durch ein Strategiepapier der SPD-Fraktion, in dem Steinmeier und andere ihre Linie ausführlich begründet haben. So hält auch der Außenminister die sogenannten Rückversicherungsmaßnahmen der Nato im Osten als Reaktion auf die Annexion der Krim und das russische Verhalten in der Ostukraine für richtig und unverzichtbar. Aber er setzt darauf, diese nicht zum Startpunkt für immer mehr Aufrüstung zu nutzen; er befürchtet, dass jede weitere Demonstration von Stärke und Schlagkraft durch die Nato am Ende nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit führen würde - auch wegen der Mechanismen, die in Russland selbst wirken. Sein Eindruck ist offenbar: Jedes Mal, wenn die Nato mit starkem Gestus neue Maßnahmen ankündigt, nutzt Putin dies, um seinerseits den nächsten Eskalationsschritt einzuleiten. "Wir wollen, dass die Nato stark ist", heißt es aus dem Umfeld des Ministers. "Aber wir wollen nicht in einen Automatismus geraten, in dem auf jeden Schritt von denen einer von uns folgt und dann wieder einer von Moskau." Wolfgang Ischinger, Ex-Botschafter und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, warnte passend dazu am Donnerstag, noch nie sei die Gefahr so groß gewesen, dass Aktion und Reaktion zwischen Russland und der Nato in einem Krieg enden könnten.

Ob Merkel diese Gefahr für real hält, ließ sie am Donnerstag offen. Auch sie warb dafür, Abschreckung und Dialog nicht als Gegensatz zu betrachten. Dass sie sich aber wirklich Gedanken machen würde über die innere Verfasstheit Russlands, das war ihrer Regierungserklärung nicht zu entnehmen. Einer, der beide seit Langem kennt, sagte am Donnerstag, Merkel und Steinmeier würden eben doch aus komplett anderen Welten stammen. Sie mit dem kritischen Blick auf die Unterdrückungsmechanismen aus Moskau; er ein Erbe Willy Brandts mit der Sehnsucht nach Entspannung.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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