Kita-Streik:"Irgendwie sind wir alle mürbe"

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Angelika Glund, 41, ist seit 21 Jahren Erzieherin und arbeitet seit 1998 als Leiterin einer Kindertagesstätte in Ratingen. Auch sie hat in den vergangenen vier Wochen im Streit um eine höhere Eingruppierung gestreikt. (Foto: oh)

Erzieherinnen wie Angelika Glund haben nach dem langen Streik Angst, dass die Schlichtung nichts bringen wird.

Interview von Annette Zoch, München

Am Montag öffnen die Kitas wieder, diese Woche soll im Tarifkonflikt der Erzieher und Sozialarbeiter voraussichtlich die Schlichtung beginnen. Viele Erzieherinnen sehen dem Tag mit gemischten Gefühlen entgegen, denn vielfach hat der Streik das Verhältnis zu den Eltern belastet. Erzieherinnen wie Kita-Leiterin Angelika Glund haben auf die Kritik mit Briefen an die Eltern reagiert und den Wandel ihrer Arbeitsbedingungen beschrieben.

Frau Glund, wie sah Ihre Arbeit vor 15 Jahren aus und wie ist es heute?

Angelika Glund: Früher hatten wir im Schnitt 25 Kinder in einer Kindergartengruppe, davon blieben aber nur neun Kinder über Mittag. Inzwischen bleiben fast alle Kinder von halb acht bis halb drei. Dadurch haben wir jetzt um die 22 Kinder bis zum frühen Nachmittag da. In der Gruppe der Drei- bis Fünfjährigen sind es zwei Vollzeitstellen. Heute arbeiten aber viel mehr Erzieherinnen in Teilzeit als früher, weil natürlich auch diese Frauen nach einem Baby wieder in den Job zurückkommen wollen. Das macht die Dienstplanung schwieriger. Manchmal geht es dann nicht anders, dass Kollegen mit 22 Kindern alleine zu Mittag essen. Früher, mit neun Kindern, war das machbar. Aber mit 22 Kindern ist das schon eine Belastung. Auch für die Kinder.

Es heißt stets, Sie müssen ihre Arbeit auch stärker dokumentieren.

Das ist richtig. In den Einrichtungen der Stadt Ratingen beurteilen wir die Kinder nach dem sogenannten Münsteraner Bogen, der über 125 Punkte umfasst. Vieles davon, wie das Sozialverhalten, kann man aus dem beurteilen, was man täglich erlebt. Die Kollegen müssen aber auch schauen, ob das Kind Silben mitklatschen kann. Oder ob es sich vier, fünf Wörter merken kann. Oder ob es alle Laute deutlich ausspricht. Das muss man mit dem Kind ausprobieren. Was die Sprachförderung angeht, hatten wir früher den Delfin-4-Test. Da kamen externe Grundschullehrer und haben die Kinder begutachtet. Jetzt stellt das Land NRW auf alltagsintegrierte Sprachförderung um. Das heißt, die Förderung, Beurteilung und Dokumentation soll im Alltag mitlaufen. Aber in Gruppen mit 25 Kindern ist das schwer umzusetzen.

Wie viel Zeit haben Sie mit jedem Kind?

Das ist sehr schwierig. Im Rahmen unseres Qualitätsmanagements gibt es den Punkt, mit jedem Kind einmal am Tag ein Gespräch zu führen. Wir wollten das mit Strichlisten im Gruppenbuch dokumentieren und dachten, das klappt schon. Aber leider sind uns da Kinder durchgerutscht. Es soll ja um richtige Gespräche gehen und nicht nur um Anweisungen wie: "Räum das weg, mach dies, mach jenes." Wir müssen dem Kind gegenüber ja auch eine gewisse Ruhe ausstrahlen: "Ich setze mich jetzt mal mit dir hin und warte, bis du so weit bist, mir zu erzählen, warum du gerade traurig bist. Und ich höre dir bis zum Ende zu." Habe ich Glück und die Kollegin hält mir den Rücken frei, dann kann ich das machen. Aber im Alltag haut es leider nicht immer hin, und das frustriert viele.

Was sagen Sie zu der Schlichtung?

Ich hoffe, dass dabei etwas herauskommt. Es wird spannend, am Montag in die Kita zu gehen, denn es gab auch Eltern, die unseren Streik nicht verstanden haben. Ich frage mich: Was machen wir, wenn bei der Schlichtung nichts herauskommt? Irgendwie sind wir alle mürbe, mit so einem langen Streik haben wir nicht gerechnet. Wir freuen uns, die Kinder wiederzusehen und haben eigentlich keine Lust, sie nach zwei Wochen dann schon wieder alleine zu lassen. Es ärgert mich auch, wenn davon geredet wird, dass wir schon wieder eine Gehaltserhöhung wollen. Darum geht es nicht. Es geht uns um mehr Wertschätzung, also eine höhere Eingruppierung. Die Arbeitgeber sagen, es soll nur für Erzieherinnen mit Sonderaufgaben mehr Geld geben. Während sich in einem Inklusionskindergarten eine Inklusionserzieherin um ein behindertes Kind kümmert, das vielleicht gerade akute Probleme hat, dann muss die zweite Erzieherin in dieser Zeit den ganzen Rest der Gruppe betreuen. Aber die soll dann weniger bekommen? Das lässt sich in der Praxis einfach nicht trennen.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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