Kirchen:Wohlfühl-Ökumene

Gibt es so viel Nähe, wie sie von Katholiken und Protestanten jetzt am Reformationstag zelebriert wurde?

Von Matthias Drobinski

Sie haben sich umarmt und gemeinsam dem Bundespräsidenten ein Kreuz geschenkt: Ausgerechnet am Reformationstag, dem lutherischsten aller Luther-Momente, zeigten der evangelische Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx, der Chef der katholischen Bischofskonferenz, demonstrativ ihre Freundschaft. Das ist ein kleines Wunder. Noch vor 50 Jahren beschimpfte man sich gegenseitig als Häretiker, noch vor zehn Jahren achtete jeder eifersüchtig aufs eigene Profil.

Die neue Gemeinsamkeit stößt in beiden Kirchen auf Kritik: Zelebrieren die Kirchenchefs da nicht eine flache Wohlfühl-Ökumene, die verdeckt, dass es immer noch entscheidende Unterschiede im Amts- und Kirchenverständnis gibt? Auch das Reformationsjahr hat schließlich keine wirkliche Annäherung in den theologischen Streitfragen gebracht.

Doch was wäre die Alternative? Sich zu belauern und dem anderen die angeblichen Defizite vorhalten? Das wäre den Christen in den Gemeinden nicht zu vermitteln - und Leute außerhalb der Kirchen würden lachen, wenn die zerstrittenen Christen dann von Frieden, Versöhnung und Dialog predigen. In Einheit versöhnt verschieden - für die Theologen ist das ein Fernziel. In den meisten Gemeinden ist das längst Allgemeingut: Eine Einheitsbreikirche wünscht keiner. Dass aber diese Unterschiede die Kirchen trennen sollen, versteht kaum noch einer.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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