Kirchen:Getrennt gemeinsam

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Viele Menschen verstehen nicht, über welch eigentümliche Fragen sich Kirchenleute streiten können. Es ist deshalb gut, wenn ein evangelischer und ein katholischer Bischof sich über Verbindendes freuen.

Von Matthias Drobinski

Man kann immer etwas sagen gegen symbolische Aktionen wie den öffentlichen Bußakt, den Katholiken und Protestanten am Samstag in Hildesheim getan haben, in Erinnerung an fast 500 Jahre Gewalt-, Abwertungs- und Trennungsgeschichte. Ja, der Versöhnungsgottesdienst diente dem Wohlgefühl. Man freute sich übers Gemeinsame; es gab Symbole, Emotionen und Ergreifendes. Und Präsident und Kanzlerin waren auch noch da.

Das Unerledigte blieb an diesem Tag außen vor. Ein gemeinsames Abendmahl der Kirchen ist nicht in Sicht. Für die katholische Kirche sind die Evangelischen immer noch eine "kirchliche Gemeinschaft" und keine "Kirche". In der Bioethik oder der Familienpolitik nehmen die Unterschiede zu; in beiden Kirchen gibt es Gruppen, die in der Abgrenzung vom jeweils anderen die Zukunft sehen. Dass in Hildesheim niemand den Reformationstag ein "Jubiläum" nannte, aus größtmöglicher Rücksicht gegenüber der katholischen Seite, zeigt: Das Gelände bleibt auch 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag schwierig.

Trotzdem: Dieser Buß- und Versöhnungsakt war ein historisches Ereignis - und solche Ereignisse brauchen auch ihre Symbole. Über die Jahrhunderte hinweg haben Reformationsjubiläen die Gräben zwischen den Konfessionen vertieft. Nun feiern zum ersten Mal die beiden großen Kirchen in Deutschland ein gemeinsames Christusfest. Erstmals bekennen sie offen, dass die Unterteilung der Menschheit in Erlöste und Verdammte viel Leid in die Welt gebracht hat. Sie versprechen einander, weiter an der Überwindung des Trennenden zu arbeiten (ohne da allzu konkret zu werden) und gemeinsam für das Zeugnis der Christen in der Welt einzustehen.

Viele verstehen nicht, worüber Kirchenleute sich streiten können

Vor zehn Jahren, als die Vorbereitungen zum großen Reformationsfest begannen, beäugten sich Katholiken und Protestanten noch misstrauisch. Aus Rom hieß es, man könne die Reformation nicht feiern; mancher Protestant sah den Jahrestag 2017 als gute Gelegenheit, den Katholiken zu zeigen, dass sie eben nicht die "Kirche der Freiheit" sind. Beide Seiten haben nun gelernt, dass sie ihr Profil nur im Miteinander schärfen können. Sie haben erkannt, dass die meisten Menschen sich schlicht an die Stirn tippen, wenn sie hören, über welch eigentümliche Fragen sich Kirchenleute im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung streiten können.

Es ist gut, dass es keine Einheitsbrei-Kirche gibt, dass verschiedene Traditionen und Theologien existieren, dass die getrennten Kirchen einander Herausforderung sind und bleiben. In einer immer weniger christlich geprägten Gesellschaft werden sie aber nur dann gehört werden, wenn sie zusammen auftreten, wenn sie über alle Unterschiede hinweg gemeinsam jenen Jesus bezeugen, auf den sie sich berufen. Der religiöse Konflikt hat nicht das letzte Wort; es gibt ein Miteinander in der Vielfalt - das ist die Botschaft von Hildesheim. In einer Welt der zunehmenden religiösen Konflikte und Abgrenzungen ist das eine Botschaft der Hoffnung.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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