Katholische Kirche:Der Papst als Revolutionär

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Papst Franziskus hat in Bolivien eine revolutionäre Rede gehalten. Auch, weil er mit einem Mythos aufräumte, den sein Vorgänger noch verbreitet hat.

Von Matthias Drobinski

Im Jahr 1511 nahmen die spanischen Eroberer auf Kuba Hatuey gefangen, den Chef der dortigen Indianer; weil er sich gegen die Invasion gewehrt hatte, sollte er bei lebendigem Leib verbrannt werden. Ein Mönch fragte ihn, ob er nicht Christ werden wolle, so könne er die Hölle vermeiden. Kommen die Christen in den Himmel?, fragte Hatuey. Ja, sagte der Mönch. Dann, antwortete der Todgeweihte, wolle er lieber in die Hölle - das sei besser, als mit diesen grausamen Christen die Ewigkeit verbringen zu müssen.

Bartolomé de Las Casas hat diese Geschichte aufgeschrieben, damals ein Abenteurer Mitte zwanzig. Er ließ sich berühren vom Leid der Indios und bekehren. Er wurde Dominikanermönch und zum Anwalt der Indios, die da ermordet und ihrer Geschichte und Kultur beraubt wurden. Er war ein Mystiker, der im Fremden die Stimme Gottes hörte. An den Kronrat des Königs schrieb er, dieser sei verantwortlich für jeden Indianer, "da Gott - gerade an das Kleinste und Vergessenste - eine ganz frische und sehr lebendige Erinnerung hegt". Bartolomé de Las Casas hatte sogar kurzfristig Erfolg bei Kaiser Karl V.; den Völkermord im Namen Christi konnte er dennoch nicht verhindern.

Papst Franziskus hat sich an diesem Freitag in Bolivien auf die Seite des Dominikanermönchs gestellt, der mit unruhigem Herzen den König an seine vergessenen Untertanen erinnerte. Er hat sich für die "Verbrechen gegen die indigenen Völker" entschuldigt und von "schweren Sünden" im Namen Gottes gesprochen. Das hat zwar auch schon sein Vor-Vorgänger Johannes Paul II. getan, dabei aber noch unterschieden zwischen den Untaten der Konquistadoren und der positiven Christianisierung des Kontinents. Diese Unterscheidung trifft Franziskus nicht mehr und kommt damit der für die Kirche bitteren Wahrheit näher: Gewalt und Mission waren oft untrennbar verbunden. Vor allem aber ist nun jener unselige Satz päpstlich korrigiert, den Benedikt XVI. bei seinem Brasilien-Besuch 2007 sprach: Die indigenen Völker hätten sich die Christianisierung "still herbeigesehnt". Nein: Die ersten Christen, die nach Lateinamerika kamen, waren meist kein Segen für die Menschen. Sie waren eine Heimsuchung.

Überhaupt hat Franziskus vor dem Kongress der Volksbewegungen in Bolivien eine Rede im Geiste de Las Casas gehalten, eine radikale Rede. Ja: Gott erinnert sich an die Vergessenen besonders gut, an die verfolgten Christen in Syrien und im Irak genauso wie an die Arbeiter ohne Rechte, die Familien ohne Dach, die Bauern ohne Land, die Kinder ohne Kindheit. Die Welt ist nicht in Ordnung, wenn Wasser, Luft, die Erde bedroht sind. Der Glaube, das macht Franziskus immer wieder klar, ist kein Beruhigungsmittel für kriselnde Mittelstandsleben. Er ist revolutionär. Er ist ein Glaube der Beunruhigung, der das Gesicherte und Selbstverständliche infrage stellt, der im Fremden, im Menschen am Rand, die Stimme Gottes hört.

Es war eine politische und doch religiöse Rede, die Franziskus hielt - das unterschied sie von dem Revolutionskitsch, den Boliviens Staatspräsident Evo Morales vor dem Auftritt des Papstes inszenierte, mit geballten Fäusten, Che-Guevara-Hemd und antiamerikanischem Co-Referat, die Anrede "Bruder Papst Franziskus" eingeschlossen. Der Papst saß da und schaute mürrisch - und dann gab es für ihn auch noch ein skurriles Kreuz, gefertigt aus Hammer und Sichel, als Gastgeschenk. Immerhin war damit klar, wo die Grenze zwischen Inszenierung auf der einen und der Rede des beunruhigten Herzens auf der anderen Seite liegt.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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