Katholische Kirche:Am Abgrund

Was da in Chile geschieht, ist einmalig: Mehr als 30 Bischöfe, eine ganze Bischofskonferenz, bietet ihren Rücktritt an.

Von Matthias Drobinski

Was da in Chile geschieht, ist einmalig, selbst in der langen und gewundenen Geschichte der katholischen Kirche: Eine gesamte Bischofskonferenz bietet dem Papst ihren Rücktritt an. 34 Bischöfe ziehen die Konsequenz aus der bitteren Erkenntnis, dass in Chiles katholischer Kirche über viele Jahre hinweg sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geduldet, verharmlost und vertuscht wurde, dass es wichtiger war, die Institution zu schützen, als den Betroffenen zu helfen.

Das ist bemerkenswert, weil nun auf die kollektive Verantwortungslosigkeit in der Vergangenheit die kollektive Verantwortungsübernahme der Bischöfe folgt: Keiner kann zum Mitbruder hinüberschielen, ob der nicht noch ein bisschen mehr Dreck am Stecken hat, niemand muss mühsam eine Grenze finden, ab der ein Rücktritt unumgänglich ist. Angesichts des Abgrunds, der sich da auftut, ist das der einzige Weg, das Vertrauen einigermaßen zu retten, das da in tausend Scherben liegt.

Vor allem aber bietet der kollektive Rücktritt nun die Möglichkeit, nach den tieferen Ursachen der Übergriffe zu suchen: nach der Verbindung von Glaube und Macht, nach den Strukturen der Männerbünde, die sich da nach außen abschotten, nach den falschen Vorstellungen von Heiligkeit. Und nach der krank machenden Einsamkeit mancher Priester, die sich vor jeder tieferen Beziehung fürchten. Das könnte, bei allem Entsetzen über das Geschehene, ein wichtiger Beitrag für die gesamte Kirche sein.

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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