Kartellverfahren:Mit Energie bei der Sache

Lesezeit: 2 min

Welche Absichten die Brüsseler Wettbewerbshüter bei ihrem Vorgehen gegen Gazprom verfolgen - und warum sie dabei jeden Anschein tunlichst zu vermeiden suchen, politisch motivierte Strafen gegen den russischen Konzern verhängen zu wollen.

Von Daniel Brössler

Wladimir Putin war noch auf dem Weg nach ganz oben, als er 1999 einen Aufsatz im Mitteilungsblatt des Bergbau-Instituts von St. Petersburg veröffentlichte. "Der Staat hat das Recht, den Prozess der Akquisition und Nutzung natürlicher Ressourcen, insbesondere der Mineralstoffe, zu regulieren, unabhängig davon, auf wessen Grund sie sich befinden. In dieser Hinsicht agiert der Staat sowohl im Interesse der Gesellschaft als Ganzes als auch im Interesse privater Eigner, welche die Hilfe der Staatsorgane benötigen, um bei Konflikten Kompromisse zu finden", war dort fürs Fachpublikum zu lesen. Putins Überlegungen gipfelten in der Forderung nach staatlich dominierten Großkonzernen in der Öl- und Gasindustrie. Rückblickend lassen sie sich lesen als Programm der Ära Putin. Energieunternehmen, allen voran der Gigant Gazprom, unterstehen in Putins Russland nicht einfach nur der Macht des Staates. Sie sind Teil dieser Macht.

Das weiß natürlich auch Margrethe Vestager. Während die Wettbewerbskommissarin im Pressesaal der EU-Kommission eine neue Stufe im Kartellverfahren gegen Gazprom verkündet, will sie aber von all dem nichts wissen. "Das ist für mich kein politischer Fall", betont sie. Gewiss, Gazprom sei mehrheitlich in Staatsbesitz, aber das gelte auch für andere Unternehmen, mit denen die EU-Wettbewerbshüter zu tun gehabt hätten. Als Beispiel nennt sie EDF, die staatlich dominierte französische Elektrizitätsgesellschaft. Als "sehr groß", als "professionell", als "beeindruckend", bezeichnet Vestager Gazprom. Soll heißen: ein ganz normaler Fall einer übergroßen Firma, die aus Gewinnstreben ihre Marktmacht missbraucht. "Aus meiner Perspektive ist das ein Kartellfall", versichert sie tapfer.

Wenn Pipelines zur Waffe werden

Anders reden kann Vestager gar nicht. Die EU-Kommission ist eben auch Kartellbehörde. Und als solche muss sie jeden Anschein politisch motivierter Strafen vermeiden. Auf der anderen Seite freilich tritt die Behörde gerade unter Jean-Claude Juncker mit erheblichem politischen Anspruch auf. Zu den zentralen Anliegen von Junckers Kommission gehört die Energieunion, die als politisches Ziel beim EU-Gipfel im März auch von den Staats- und Regierungschefs bestätigt worden ist. Schon als polnischer Ministerpräsident hatte der jetzige EU-Ratspräsident Donald Tusk die Energieunion angeregt. Polen gehört, wie die Kommission nun festgestellt hat, zu den fünf EU-Staaten, denen Gazprom unfair hohe Rechnungen präsentiert. Die Schaffung der Energieunion soll, wie die EU-Kommission in einem Papier erläutert, durch Diversifizierung "die bestehende Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten verringern". Gemeint ist vor allem Gazprom.

So wenig die EU-Kommission als Wettbewerbshüterin von einer Sonderrolle Gazproms sprechen will, so sehr ist sich die EU der engen Verknüpfung von Kreml und Konzern bewusst. Gazprom-Chef Alexej Miller ist ein langjähriger Vertrauter von Präsident Putin; ihm schuldet er unbedingte Loyalität. Und seit der Annexion der ukrainischen Krim und der neuen Kälte in Europa hat die Angst vor Pipelines als Waffe noch einmal zugenommen. "Gazprom ist ein Staatsunternehmen, das für politische Zwecke eingesetzt wird", sagt Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Putin selbst habe gesagt: "Energiepolitik ist Sicherheitspolitik."

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: