Justiz:Sechzehn Richter, null Anwälte

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Sechzehn Richter, sechzehn Baretts: Um die Verteilung der Ämter am höchsten deutschen Gericht ringen Parteien und Berufsgruppen. (Foto: Uli Deck/dpa)

Die Anwaltschaft fordert eine eigene Quote bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Für die Anwaltschaft ist das Bundesverfassungsgericht bisher eine nahezu uneinnehmbare Festung. Bei der Besetzung der sechzehn Stellen geben sich Rechtsprofessoren und Bundesrichter die Klinke in die Hand, auch Politiker und Ministerialbeamte haben den Wechsel nach Karlsruhe geschafft - aber Anwälte sind dort eine seltene Spezies geblieben. Der mit derzeit 164 000 Mitgliedern größte juristische Berufsstand sei in der Geschichte des Gerichts völlig unterrepräsentiert, sagte Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, am Mittwoch in Karlsruhe. Gemeinsam mit dem Deutschen Anwaltverein (DAV) fordert Schäfer deshalb eine gesetzliche Anwaltsquote - mindestens ein Anwalt in jedem der beiden achtköpfigen Senate. Nur so könne die traditionelle Vormacht der Professoren gebrochen werden. "Die freien Stellen gehen bisher mit einem gewissen Automatismus an Staatsrechtslehrer", kritisiert DAV-Präsident Ulrich Schellenberg.

Tatsächlich kommt man seit 1951 zwar auf insgesamt acht zugelassene Rechtsanwälte, aber die meisten davon haben kaum praktiziert, sondern waren eher Politiker, wie etwa Ernst Benda oder Ernst Gottfried Mahrenholz. Als echte Anwälte gehen wohl nur der NS-Widerstandskämpfer Fabian von Schlabrendorff und der 1995 ausgeschiedene Vizepräsident Johann Friedrich Henschel durch - sowie, so halb, Hans-Joachim Jentsch, dessen Berufsweg aber ebenfalls einige politische Ämter aufweist.

Von Beobachtern wurde immer gefrotzelt, dass jedenfalls Spitzenanwälte den Wechsel nach Karlsruhe selbst gar nicht anstrebten; wer Partner einer gut gehenden Anwaltskanzleien sei, wolle sich den finanziellen Absturz auf etwa 12 500 Euro monatlich nicht antun. In den vergangenen Jahren hat die Anwaltschaft allerdings hinter den Kulissen immer wieder Kandidaten aufgeboten, um einen der ihren am höchsten deutschen Gericht zu platzieren - ohne Erfolg: Bei der Nachfolge von Udo Di Fabio 2011 fiel die Wahl auf den Ex-Ministerpräsidenten Peter Müller, auf die Stelle von Gertrude Lübbe-Wolff rückte vor zwei Jahren die Professorin Doris König ein, und als im Sommer Herbert Landau ausschied, wurde es wieder eine Professorin, Christine Langenfeld aus Göttingen. Der Frauenanteil liegt inzwischen bei sieben von sechzehn, die Anwaltsquote dagegen beträgt seit elf Jahren exakt null - was angesichts der Lobby-Power der Anwaltschaft einigermaßen überraschend ist.

Wer 2018 zum Richter ernannt wird, hat gute Chancen, nächster Präsident des Gerichts zu werden

Dabei könnte eine stärkere Präsenz von Anwälten für das Gericht durchaus nützlich sein, das hat vor einiger Zeit auch Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle angemerkt. Entscheidend ist die richtige Mischung im Senat. Gesetzlich vorgeschrieben sind drei Vertreter der obersten Bundesgerichte, Juristen also, die von der Pike auf gelernt haben, wie man Urteile schreibt. Staatsrechtsprofessoren beherrschen das Verfassungsrecht bis in die Verästelungen, Politiker wie Peter Müller steuern die Perspektive aus dem Realbetrieb des Regierens bei - da könnte der Blick aus der Praxis, wo Staats- und Mandanteninteressen aufeinanderprallen, durchaus bereichernd wirken. Diesen Teil des Rechtsalltags, so bekräftigen die beiden Anwaltsorganisationen, kennen nur die Anwälte.

Aber muss es wirklich eine gesetzlich vorgeschriebene Quote sein? Schon jetzt ist die Richterwahl in Bundestag und Bundesrat ein kompliziertes Unterfangen. Wegen des Zweidrittel-Quorums haben sich Union und SPD wechselseitig Vorschlagsrechte eingeräumt - aber inzwischen haben auch die Grünen durchgesetzt, dass sie regelmäßig Kandidaten benennen dürfen. Dazu kommt die ohnehin schon existierende Bundesrichterquote sowie das Bestreben, den Frauenanteil hochzuhalten - von gelegentlichen Forderungen mächtiger Landesverbände der Parteien gar nicht zu reden. Wenn das Quotengeflecht zu dicht wird, wächst irgendwann die Neigung zum faulen Kompromiss.

Aber vielleicht findet der Ruf der Anwälte auch so das Gehör der "Richtermacher" in den Parteien. Die nächste Gelegenheit wäre die Stelle von Ferdinand Kirchhof, der im Sommer 2018 die Altersgrenze erreicht. Dessen Nachfolger hätte sogar Chancen, der nächste Präsident des Gerichts zu werden.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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