Justiz:Platzangst

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Der Serienmörder Niels Högel bringt das Gericht an seine Grenzen.

Von Annette Ramelsberger

Was ist schon der NSU-Prozess? Ein Klacks, wenn man ihn mit dem Verfahren vergleicht, das auf das Landgericht Oldenburg zukommt. Dort beginnt im Herbst ein Prozess, der nicht nur den NSU-Prozess, sondern auch das Love-Parade-Verfahren in Düsseldorf in den Schatten stellen wird. Verhandelt wird gegen den Krankenpfleger Niels Högel, den größten Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ihm werden 97 Morde vorgeworfen, und das sind nur diejenigen, die ihm noch nachzuweisen sind. Vermutlich hat er viel mehr Menschen getötet, es könnten an die 200 sein.

Doch schon die nachweisbaren 97 Fälle reichen, um die Justiz an ihre Grenzen zu bringen. Die Familien von 97 Getöteten sind berechtigt, als Nebenkläger am Prozess teilzunehmen und sich einen Anwalt zu nehmen. Rechnet man für jedes Opfer mit zwei Kindern und vielleicht dem Ehepartner, kommt man schnell auf 300 Menschen im Saal - plus ihre Anwälte. Dazu kommen das Gericht, die Staatsanwaltschaft und natürlich der Angeklagte und seine Verteidiger. Das sprengt jeden herkömmlichen Gerichtssaal.

Solche Mammutprozesse fordern die Justiz zu organisatorischen Höchstleistungen heraus. Das sieht man schon beim Love-Parade-Prozess, für den das Landgericht Duisburg eigens eine Messehalle im nahen Düsseldorf angemietet hat - für 14 000 Euro am Tag, die der Steuerzahler bezahlen muss. Für 65 Nebenkläger mit ihren Anwälten sind die Räume in Duisburg zu klein. Schon sucht man auch in Oldenburg nach einem Ausweichquartier, denn bereits bei den vorangegangenen Prozessen gegen Niels Högel saßen sich die Besucher quasi gegenseitig auf dem Schoß - und da ging es nur um drei damals bekannte Morde. Im Gespräch ist nun der frühere Oldenburger Landtag, ein großes Gebäude, in dem bisher geheiratet und gefeiert wird.

Doch die Räume sind nicht alles, es geht auch um den schieren Umfang der Verfahren. In München verhandelt man seit fünf Jahren, der 6. Strafsenat ist damit ausgelastet und manche Verteidiger tun alles, um den Prozess zu verzögern. In Duisburg geht es recht flott, doch ob der Prozess bis Juli 2020 abgeschlossen wird, ist ungewiss. Nach diesem Stichtag verjähren die Taten, der Prozess wäre umsonst. In Oldenburg kann man schon jetzt zu rechnen anfangen: Nur alle drei Wochen soll an zwei Tagen verhandelt werden - damit auch andere Fälle bearbeitet werden können. Das bedeutet maximal 34 Verhandlungstage im Jahr. Und wenn jeder Mordfall auch nur einen Tag benötigt, sind das bei 97 Fällen schon drei Jahre. An Befangenheitsanträge, wie sie im NSU-Prozess an der Tagesordnung sind, will man da noch gar nicht denken. Im Haus von Justizminister Heiko Maas (SPD) erwägt man Reformen, um die Prozesse zu straffen. Auch der Strafkammertag hat sich im Herbst dafür ausgesprochen.

Immerhin droht in Oldenburg nicht die Altersgrenze. In Koblenz war 2017 nach vier Jahren ein Prozess gegen 26 Neonazis geplatzt, weil der Richter in Pension ging. "Die Richter, die hier in Oldenburg zuständig wären, sind alle Mitte 40, Anfang 50", beruhigt der Oldenburger Gerichtssprecher Michael Herrmann. Dann kann der Prozess ja auch 15 Jahre dauern.

© SZ vom 06.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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