Es könnte sein, dass es die schwerste Prüfung ist, die sie da gerade bestehen muss, dieser Gang in die Öffentlichkeit. Kameras stehen da, wenn sie auftritt, und Mikrofone und Menschen, die ihre Worte in Blöcke schreiben. Es kommt einem das Wort "Rummel" in den Sinn, und wenn man sie auf den Rummel anspricht, sagt sie: "Ich bin irritiert, ich habe doch noch gar nichts geleistet."
Sie ist schmal und von schüchterner Anmut. Wenn sie spricht, dann bedächtig und vorsichtig, wie das bei 31-Jährigen selten ist. Warum? Alina Treiger wurde in den Sozialismus der Sowjetunion hineingeboren und hat von Kindesbeinen an gelernt, dass es klug, ja, manchmal sogar überlebenswichtig ist, seine Worte zu wiegen, bevor man sie entlässt. So etwas legt man nicht ab.
In der Ukraine geboren
Alina Treiger ist die erste Frau, die nach dem Holocaust in Deutschland zur Rabbinerin ausgebildet wurde und nun hier ihre "Smicha", ihre Ordination erhält. An diesem Donnerstag soll das geschehen, in der Synagoge in der Berliner Pestalozzistraße, und Christian Wulff, der Bundespräsident, wird dabei sein. Kein Wunder, dass das Interesse so groß ist, denn Treigers Geschichte ist auch die einer höchst gelungenen Integration.
Geboren ist sie im Nordosten der Ukraine, in Poltawa, 150.000 Einwohner, wo die Religion ihres Elternhauses bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion kaum eine Rolle spielen durfte. Nach der Wende aber blühte schnell auch das jüdische Leben auf. Treiger erzählt, wie damals ein Anruf kam.
Jemand aus der Gemeinde, der fragte, ob sie jüdisch seien und Lust hätten, ihren Glauben zu leben. "Wir haben alle zusammen Tee getrunken und Kerzen angezündet, das war unser Schabbat. Es wusste ja keiner, wie man so was macht: einen Gottesdienst."
Sie weiß lange schon sehr genau, wie man das alles macht. Mit 18 bereits entschied sie sich binnen weniger Tage, nach Moskau zu gehen, um sich dort zur Gemeindearbeiterin ausbilden zu lassen. Eigentlich hatte sie Musik studieren wollen. Sie sagt: "Meine Eltern haben mich mit großen Augen angeschaut." Aber sie ließen ihr Kind ziehen, das einzige.
Erst nach Russland und 2001 nach Berlin. Dort und in Potsdam begann sie ihr Studium am Abraham-Geiger-Kolleg, einem liberalen Rabbinerseminar, das seit 1999 Geistliche ausbildet. Neben Hebräisch hat sie natürlich Deutsch gelernt, sie hat Praktika in Gemeinden und in Israel absolviert. Sie hat geheiratet.
"Unwichtig, ob Mann oder Frau"
Es ist ihr unangenehm, nun so in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Die beiden männlichen Absolventen, die mit ihr ordiniert werden, hätten die gleiche Aufmerksamkeit verdient wie sie. Sie sagt: "Wichtig ist nur, dass ein Rabbiner gut ist. Unwichtig aber, ob es ein Mann ist oder eine Frau."
Alina Treiger wird die Gemeinden in Oldenburg und Delmenhorst betreuen. Die Jugendarbeit sei ihr wichtig, sagt sie; jüdisches Leben fortführen in einem Land, das einst die Vernichtung der Juden beschlossen hatte. "Die Schoah ist unsere Trauerarbeit", sagt sie.
Ihr Vater ist vor vier Jahren gestorben. Ihre Mutter aber ist aus Poltawa nach Berlin gereist. Sie wird dabei sein, wenn ihre eigenwillige Tochter den Segen empfängt. Im schwarzen Talar. Im Mittelpunkt der Synagoge.