Jamaika-Sondierungen:Endlich Quartett

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Erstmals sitzen alle vier Parteien an einem Tisch. Nach fünf Stunden und 48 Vorträgen geben sich die Verhandler vorsichtig optimistisch. Von Blitzen und Geistesblitzen ist die Rede.

Von Constanze von Bullion, Nico Fried und Mike Szymanski, Berlin

Gut fünf Stunden hat man am Ende zusammengesessen. 48 Vorträge sind gehalten worden, als am Freitag gegen 21.30 Uhr die vierte Sondierungsrunde vorbei ist. Jeweils zwölf Rednerinnen und Redner von CDU, CSU, FDP und Grünen erhielten das Wort. Vielleicht ist es sogar das wichtigste Ergebnis nach der ersten Gesprächsrunde mit allen vier Parteien, die erwägen, eine Jamaika-Koalition zu bilden, dass man es so lange miteinander ausgehalten hat. In der einzigen Pause, die sich die rund 50 Verhandler erlaubten, sollen sogar gemischte Gruppen beisammen gestanden und sich zivilisiert ausgetauscht haben. So berichtet es hinterher, unwidersprochen von den Generalsekretären der anderen Parteien, der grüne Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Es gibt auch Fotobeweise.

16.30 Uhr am Freitag. Tag vier der Sondierungen einer Jamaika-Koalition in Berlin beginnt. Draußen vor der Tür lässt die Umweltschutzorganisation BUND riesige Luftballons aufsteigen. Zwei Erdkugeln sind da zu sehen, von denen eine in Überhitzung verglüht. Klima retten, Kohlekraftwerke abschalten, fordern die Umweltschützer. Ob es so kommen wird? Das weiß auch drinnen im Verhandlungsgehäuse niemand.

"Es gibt auf meiner Seite durchaus die Bereitschaft, kreativ auch nachzudenken", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), als sie, vom EU-Gipfel in Brüssel kommend, an der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin eintrifft, dem Verhandlungsort gleich gegenüber dem Reichstagsgebäude. Es müsse nun eine Regierung gebildet werden, die "für Arbeitsplätze, für Sicherheit im umfassenden Sinne" sorge. Vielleicht ist die Kanzlerin selbst nicht wirklich begeistert von ihren Sätzen, jedenfalls kürzt sie die Sache ab und sagt: "Ran an die Arbeit." Horst Seehofer, der CSU-Chef, ergänzt dann noch, er sei "richtig froh, dass es jetzt richtig losgeht". Und dass er "zuversichtlich sei".

Da lachen sie: Alexander Dobrindt (CSU), Christian Lindner (FDP), Horst Seehofer (CSU) und Jens Spahn (CDU, von links) haben viel Spaß miteinander, zumindest in einer Verhandlungspause auf dem Balkon der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Schluss mit langen Vorreden, jetzt soll es endlich losgehen, war am Freitag in Berlin zu hören. Doch zu verhandeln gibt es da immer noch nichts. Die vier Parteien hatten sich lediglich darauf verständigt, das Feld in zwölf Themenblöcke aufzuteilen. Jede Partei stellt nun zu jedem Block ihre Prioritäten vor. Erst zu den größten Streitfragen wie Steuern, Europa, Klima oder Flüchtlinge, dann zu Bildung, Digitalem und Pflege, schließlich zu Landwirtschaft und innerer Sicherheit.

Der späte Beginn am Freitagnachmittag ließ manchem Verhandler ausreichend Zeit, schon vorher auch vor laufenden Kameras Position zu beziehen. Die Union wolle der grünen Forderung nach einem Familiennachzug für Flüchtlinge nicht nachgeben, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) in der ARD. "Ja, wir haben eine klare Position, den Familiennachzug nicht für alle subsidiär Geschützen auszuführen", betonte er. "Darüber wird sicher gestritten werden." Dennoch werde man zusehen, "in dieser Konstellation" zum Erfolg zu kommen.

Jürgen Trittin von den Grünen schoss der FDP vor den Bug. Investitionen hätten Vorrang vor Steuerentlastungen, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Zu Beginn der Sondierungsgespräche sollten Union, Grüne und FDP "alle gemeinsam erst einmal auf dem Boden der finanziellen Tatsachen ankommen". Es fehlten Milliarden für Brücken oder Pflege. "Da wird mancher Traum über steuerliche Vorstellungen platzen", sagte Trittin.

Sondieren sei nicht der Wettbewerb der "dicksten Hose", sagt ein FDP-Präsidiumsmitglied

Bei der FDP wurde am Freitag unterdessen eine Art Sicherheitsnetz gehäkelt - falls Jamaika scheitert. Der stellvertretende Parteichef Wolfgang Kubicki, der schon erklärt hatte, er könne auch Kanzler, wurde von der FDP-Bundestagsfraktion als Bundestags-Vizepräsident nominiert. Zudem wurden sechs Vize-Fraktionsvorsitzende gewählt. Dies sei die Mannschaft für den Fall, dass die FDP "die Oppositionsrolle übernimmt", sagte Parteichef Christian Lindner.

Gegen 21.30 Uhr kommen dann die Generalsekretäre, um Statements abzugeben. Alle stellen sie nacheinander fest, dass man erste Übereinstimmungen entdeckt habe, aber auch noch viel Trennendes. Peter Tauber von der CDU sieht zum Beispiel ähnliche Positionen in der Entwicklungspolitik, aber noch große Unterschiede bei Sicherheitsgesetzen. Und das keineswegs nur mit den Grünen, sondern auch mit der FDP. Man müsse deshalb weiter prüfen, "ob es genügend belastbare Gemeinsamkeiten gibt", sagt Tauber.

Sein CSU-Kollege Andreas Scheuer bemüht sich am meisten um ein skeptisches Gesicht. Er sieht "große Abstände" beim Thema Zuwanderung und bei der Sicherung des Industriestandortes. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hat einen "hochkonzentrierten, sehr disziplinierten" Tag erlebt und sieht neben einigen Schnittmengen auch noch Differenzen, zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung. Und der grüne Michael Kellner fasst es so zusammen: Man habe eine politische Grundsatzdebatte erlebt "mit Blitzen, einigen Geistesblitzen und ein paar dunklen Wolken - das große Donnergrollen ist aber ausgeblieben." Deshalb wird nächste Woche weiter sondiert.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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