20 Jahre Einigungsvertrag:"Wir haben einfach geheult"

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Wolfgang Schäuble und Angela Merkel preisen beim Festakt zum Einigungsvertrag den Mut der Ostdeutschen. Für Innenminister Thomas de Maizière ist das Dokument sogar ein "Meisterwerk". Und selbst jene, die damals dagegen waren, freuen sich mit.

Stefan Braun, Berlin

Irgendwann erzählt Wolfgang Schäuble von den Tränen. Jenen Tränen, die am 31. August vor zwanzig Jahren in großen Mengen flossen, und das auch noch genau hier, im Kronprinzenpalais, Unter den Linden. "Wir haben einfach geheult, aus Freude, aus Erregung, aus Erschöpfung", erzählt der CDU-Politiker. Zwar sei nicht alles damit schon geregelt gewesen. "Aber wir wussten, dass wir das, was Politik leisten kann, zustande gebracht haben."

Erinnerungen an Freude, Erregung und Erschöpfung: Kanzlerin Angela Merkel und der damalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière präsentieren den Einigungsvertrag. Vor 20 Jahren haben ihn die Unterhändler Günther Krause (2. von links) und Wolfgang Schäuble (rechts) unterzeichnet. Auch der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (links) nahm am Festakt im Berliner Kronprinzenpalais  teil. (Foto: dpa)

Stolz klingt da an, als der damalige Bundesinnenminister zwanzig Jahre später im Kronprinzenpalais sitzt, um an die Ereignisse von 1990 zu erinnern. An diesem 31. August hatten Schäuble und der damalige DDR-Staatssekretär Günther Krause genau hier den Einigungsvertrag unterzeichnet. Und aus diesem Anlass sind viele von damals und noch viel mehr Prominenz von heute am Dienstag noch einmal ins Kronprinzenpalais gekommen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht zur Begrüßung von einem "Meisterwerk von Politik und Verwaltung". Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lobt das Erreichte in ihrer Festrede. Sie erklärt, das Vertragswerk von einst könne Vorbild sein für viele andere internationale Verträge. "Das war schon eine gelungene Veranstaltung", heißt es bei Merkel. Es soll eine schöne Feierstunde sein zu Ehren der Einheit.

Und dazu tragen selbst jene bei, die damals dagegen waren. Konrad Weiß beispielsweise, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, der entschieden daran erinnert, wie falsch er es fand, dass die DDR beitrat, statt sich gemeinsam mit dem Westen eine neue Verfassung zu geben. Weiß ist das wichtig, er hat damals in der DDR-Volkskammer für die Einheit, aber gegen den Einheitsvertrag seine Stimme erhoben. Trotzdem sagt er am Ende, er sei vor allem dankbar dafür, dass die Einheit erreicht worden sei. Für die Zukunft habe er im übrigen vor allem eine Hoffnung: Dass die Menschen sich später besser als heute daran erinnern, welche wichtige Rolle die Bürgerrechtler dabei gespielt haben.

Ein einigermaßen aufrechtes Leben

Daran erinnert auch die Kanzlerin noch einmal ausdrücklich. Der Mut, den die Menschen vor zwanzig Jahren aufgebracht hätten, "war damals viel größer als wir uns das heute vorstellen." Allerdings hätten auch der wirtschaftliche Niedergang der DDR, das wachsende Vertrauen der Welt in die Bundesrepublik und die Entschlossenheit der USA zum Weg Richtung Einheit beigetragen.

Bei so viel Lob mag Merkel freilich nicht stehen bleiben. Irgendwann erinnert sie auch daran, wie sich die harsche Kritik an der DDR manchmal für Ostdeutsche angefühlt habe. In dem Vorwurf, alles sei schlecht und Unrecht gewesen, seien Staat und Menschen hie und da fast komplett gleich gestellt worden. Das, so Merkel, sei ungerecht, denn auch in der DDR sei es möglich gewesen, ein einigermaßen aufrechtes Leben zu führen.

Mit diesem kleinen Wink erinnert Merkel fast leise an jene Debatte, die derzeit alle Erinnerungsfeiern überschattet. Jüngster Auslöser sind Äußerungen von Matthias Platzeck, dem Ministerpräsidenten von Brandenburg. Er war in einem Interview mit dem Einheitsvertrag hart ins Gericht gegangen und hatte unter anderem gesagt, eine Art "Anschlusshaltung" sei verantwortlich für viele gesellschaftliche Verwerfungen seit 1990.

Der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende in der letzten DDR-Volkskammer, Richard Schröder, wies den Vergleich zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland sofort als abwegig zurück. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte, Platzecks Sprache sei "beschämend".

Im Kronprinzenpalais freilich ist davon nicht mehr die Rede gewesen. Es sollte ja auch eine Feier sein - und keine Beschimpfung werden.

© SZ vom 01.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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