60 Jahre BRD:Studenten auf der Straße

Die Studentenproteste der 1960er Jahre begannen harmlos: als Demos weniger hundert für mehr Redefreiheit. Schon bald wurden daraus politische Massenproteste - die in der Gründung der RAF gipfelten.

Birgit Kruse

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Quelle: SZ

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Es ist der 7. Mai 1965. Für diesen Tag ist in der Freien Universität Berlin eine Podiumsdiskussion angesetzt. Einer der geladenen Gäste ist der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby, der für seine schonungslose Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen der Bundesrepublik berüchtigt ist. Für die Veranstalter ist Kuby offenbar zu offen mit seiner Kritik - vor allem jene an der Hochschule ist dem Gastgeber zu viel. Der Rektor der Hochschule erteilt dem unliebsamen Gast kurzerhand Hausverbot. Welche Folgen diese Entscheidung hat, ist ihm in diesem Moment sicherlich nicht bewusst.

Foto: ddp (Aufnahme von 2007)

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Mehr als 500 Studenten gehen im Frühjahr 1965 auf die Straße, um für das Recht auf Redefreiheit zu demonstrieren. Doch dem nicht genug: Bei weiten Teilen der jungen Generation herrscht Ende der 1960er Jahre ein tiefes Misstrauen gegen den Staat, das durch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament noch weiter geschürt wird.

In den Jahren der Großen Koalition gehören fast 90 Prozent der Parlamentarier einer der Regierungsparteien an - die oppositionelle FDP ist lediglich mit 49 von insgesamt 496 Sitzen vertreten.

Anfangs protestierten die Studenten vorwiegend gegen die Hochschulpolitik der 1960er Jahre. "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren" ist wohl die bekannteste Parole der frühen Bewegung. Doch mit der Debatte um die Notstandsgesetze und dem Widerstand gegen den US-Einsatz in Vietnam weitet sich der Protest weit über die Berliner Stadtgrenzen aus.

Foto: dpa

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Der erste große gewaltsame Zusammenstoß mit der Staatsgewalt bahnt sich an und entlädt sich am 2. Juni 1967 bei dem Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlewi, in Berlin.

Unter den Demonstranten befindet sich auch der Student Benno Ohnesorg. Der Protest gegen den Deutschlandbesuch des Schahs ist die erste politische Aktion, an der der bekennende Pazifist teilnimmt. Im Laufe der Demonstration eskaliert die Situation, es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Schah-Anhängern, Gegendemonstranten und der Polizei.

Foto: dpa

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Die Demonstranten haben sich vor der Berliner Oper versammelt, es ist ruhig. Doch um kurz nach 20 Uhr gibt der Polizeipräsident den Befehl, gegen die Demonstranten vorzugehen. 800 Beamte setzen sich in Bewegung, gehen auf die Demonstranten los. Augenzeugen schildern die Situation: "Ich sah, wie ein Polizist einen wehrlos am Boden liegenden Mann mit den Stiefeln gegen den Kopf trat."

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Ohnesorg, AP

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Wie viele andere Studenten sucht auch Benno Ohnesorg Zuflucht in einem Hof in der Krummen Straße. Was dann geschieht, ist unklar. Am Ende liegt der 26-Jährige blutend auf dem Boden, eine junge Frau leistet erste Hilfe. Der Polizist, der den Studenten ermordete, soll nach Medienberichten Stasi-Spitzel und SED-Mitglied gewesen sein.

Foto: AP

Ohnesorg, AP

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Ohnesorg blutet aus Mund, Nase, Ohren und aus einer Wunde am rechten Hinterkopf. Die Ärzte im Berliner Krankenhaus Moabit kämpfen um das Leben ihres Patienten. Vergebens. Am 2. Juni, kurz nach 21 Uhr, stirbt Benno Ohnesorg im Alter von 26 Jahren. "Schädelbruch" lautete die erste Version der Todesursache. Später jedoch ergibt die Obduktion "Gehirnsteckschuss" als Todesursache. Zudem stellen die Ärzte fest, dass Ohnesorg verprügelt worden ist. Sein Rücken ist übersät mit Striemen.

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Der Tod von Ohnesorg verändert die Republik. Während das Springer-Blatt BZ schreibt: "Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen", wird Ohnesorg zur Symbolfigur für die Studentenproteste und die sich bildende Außerparlamentarische Opposition (APO).

In vielen Städten kommt es zu Studentenunruhen. Berlin gerät über Nacht "an den Rand des Chaos" (Zeit). Die Proteste versetzen die Stadt monatelang in eine Art Ausnahmezustand. In der Folge erklären der Polizeipräsident, der Innensenator und schließlich der Regierende Bürgermeister von Berlin ihren Rücktritt.

Foto: dpa (In einem Schweigemarsch gedenken 7000 Münchner Studenten ihres Berliner Kommilitonen Benno Ohnesorg)

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Seit Ende 1967 richten sich die Proteste der Studenten verstärkt gegen die Springer-Presse, die Tageszeitungen wie Die Welt oder die Bild-Zeitung herausgibt. Mathias Walden schreibt einmal in der Welt über die Proteste: "Eine Rote Garde ... randalierte in den Straßen der City als immatrikulierter, mobilisierter Mob." Die BZ spricht von "gemeingefährlicher Randale". Die Studenten werfen dem Verlag vor, Hetzkampagnen in Form von verkürzter oder verfälschter Berichterstattung zu führen.

Nach der Bildung der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger und dem Tod von Benno Ohnesorg tritt ein Student immer häufiger in Erscheinung: Alfred Willi Rudolf Dutschke.

Rasch wird der Rhetoriker und Analytiker Dutschke zum führenden Ideologen der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und damit der Studentenbewegung.

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Rudi Dutschke ist einer der charismatischsten Figuren der Achtundsechziger-Studentenbewegung. In der Weltsicht des "deutschen Che Guevara", wie er auch gerne genannt wird, produziert das kapitalistische System Gewalt. Sie ist für ihn Resultat des autoritären Staates, dem faschistische Tendenzen innewohnen. Die Hauptaufgabe der Oppositionellen sieht er darin, die latente Gewalt des Staates sichtbar und durch direkte Aktionen erfahrbar zu machen. Eine Einstellung, die polarisiert.

Foto: AP (Dutschke vor dem Kurhaus in Baden-Baden bei Protesten im jahr 1967)

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Der Anstreicher Josef Bachmann versucht am 11. April 1968, den unliebsamen Studentenanführer Dutschke zu ermorden. Auf offener Straße wird der Apo-Aktivist am Kurfürstendamm niedergeschossen. Das Attentat schlägt fehl, Dutschke wird schwer verletzt. Bachmann gibt später bei der Polizei an, die Lektüre der Deutschen National-Zeitung und der Bild habe ihm zu seiner Tat verleitet.

Foto: dpa (Das Fahrrad von Dutschke am Tatort)

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Das Attentat auf Dutschke löst die schwersten Straßenunruhen in der Geschichte der Bundesrepublik aus.

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Hunderttausende demonstrieren während der Osterfeiertage in der gesamten Bundesrepublik.

Foto: dpa (Ostermarsch in Stuttgart)

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In Berlin, Hamburg, München und Essen brennen Lieferwagen des Springer-Verlages. Demonstranten werfen Molotowcocktails gegen das Springer-Hochhaus in der Berliner Kochstraße.

Foto: dpa (Löscharbeiten vor der Fahrzeug-Wartungshalle des Springer-Hochhauses in Berlin, die von Demonstranten in Brand gesteckt wurde)

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Versuche, Redaktionen und Druckereien der Springer-Presse zu stürmen, enden zum Teil in blutigen Straßenschlachten mit der Polizei.

Foto: AP (Polizisten waten während einer Anti-Springer-Demonstration durch von den Demonstranten auf den Boden geworfene Zeitungsexemplare)

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Justizminister Gustav Heinemann (SPD) fragt nach den Krawalltagen selbstkritisch: "Sowohl der Attentäter, der Rudi Dutschke nach dem Leben trachtete, als auch die 11.000 Studenten, die sich an den Demonstrationen vor Zeitungshäusern beteiligten, sind junge Menschen. Heißt das nicht, dass wir Älteren den Kontakt mit Teilen der Jugend verloren haben oder ihnen unglaubwürdig wurden?"

Foto: Getty Images

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Der Kampf gegen die Notstandsgesetze ist im Frühjahr 1968 das einigende Band zwischen Studentenbewegungen, Gewerkschaften und Intellektuellen. Ihre Befürchtung ist, dass mit dem Gesetzespaket der Weg zurück zum Faschismus geebnet wird. Denn laut Gesetz soll es im Verteidigungsfall, bei inneren Unruhen und Naturkatastrophen die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes erweitern sowie bestimmte Grundrechte einschränken können.

Foto: dpa

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Sprechchöre wie "SPD und CDU: Lasst das Grundgesetz in Ruh!" brennen sich in die Köpfe der Menschen. Beim Sternmarsch auf Bonn am 11. Mai 1968 nehmen nach Schätzungen der Polizei etwa 30.000 Menschen teil - unter ihnen der Schriftsteller Heinrich Böll.

Foto: AP

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Die Regierung lässt sich von den Protesten nicht einschüchtern und verabschiedet am 30. Mai 1968 das umstrittene Gesetzespaket, das noch heute in Kraft ist. Die aus Bürgerinitiativen entstandene Außerparlamentarische Opposition, die sich auch gegen den Vietnamkrieg und die atomare Aufrüstung einsetzte, hat ihren Kampf gegen die Notstandsgesetze verloren, der Protest verliert sein einigendes Thema und der Auflösungsprozess beginnt. Bis auf eine kleine Minderheit, die ihren Kampf gegen die verhasste Gesellschaft von nun an aus dem Untergrund führt: die RAF.

Foto: AP

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