Italien:Wette auf den Wandel

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Überraschung in Rom: Die Kandidatin der Cinque-Stelle-Bewegung liegt nach der ersten Runde der Kommunalwahlen vorn. Nun entscheidet die Stichwahl, ob Virginia Raggi das Rathaus erobert.

Von Oliver Meiler, Rom

Es war weit nach Mitternacht, früher Montagmorgen schon, als Virginia Raggi vor die Medien trat. Das italienische Fernsehen zeigte zwar erst Hochrechnungen von den Gemeindewahlen, basierend auf wenigen ausgezählten Stimmen - fünf Prozent, zehn Prozent. Doch das reichte der Kandidatin für Roms Bürgermeisteramt schon aus, um sich ihres Triumphs sicher zu sein. Und es wartete ja viel Medienvolk auf sie im Hauptquartier des Movimento Cinque Stelle, so viel wie nie zuvor: 145 Reporter, selbst ausländische waren dabei. "Overbooking", nannte es der Pressebeauftragte, "überbucht".

Aufregung und Müdigkeit waren so groß, die Ergriffenheit so fassbar, dass es Raggi dann beim Reden oft den Atem verschlug. "Ich bin bereit, Rom zu regieren", sagte sie und legte Pausen ein, als müsste sie sich auch ein bisschen selber überzeugen. "Wir wollen der Stadt ihren Glanz zurückgeben." Der Wind drehe, die Zeit sei reif.

Der Sozialdemokrat Roberto Giachetti schlug sich achtbar, trotz der Skandale um Mafia Capitale

Sie ist jetzt ein Star, obschon sie noch gar nicht gewonnen hat. Der jungen, erfrischend normalen Bewerberin der Protestpartei gelang in der ersten Runde der Gemeindewahlen ein eindrückliches, überraschend starkes Resultat, das sie nun auch zur Favoritin für die Stichwahl in zwei Wochen macht: 35 Prozent der Stimmen sind weit mehr, als ihr die Umfrageinstitute vorausgesagt hatten. Die 37-jährige Anwältin hat alle Bewerber der etablierten Parteien überflügelt. In der zweiten Runde wird sie sich mit Roberto Giachetti vom sozialdemokratischen Partito Democratico messen müssen, dem Vizepräsidenten des italienischen Abgeordnetenhauses, einem Vertrauten von Premier Matteo Renzi.

Giachetti schlug sich achtbar, wenn man bedenkt, wie wenig Kredit die römische Sektion seiner Partei noch hat nach all den Skandalen um Mafia Capitale, die auch sie belasten, und nach der bescheidenen Regierungsleistung des linken Bürgermeisters Ignazio Marino, der im vergangenen Herbst von einem Sonderkommissar ersetzt werden musste. Doch zum "Wunder", wie es seine Parteifreunde beschwört hatten, fehlt dann doch eine ganze Menge: Giachetti liegt zehn Prozent hinter Raggi. Ganz ohne Chance blieb diesmal die postfaschistische Rechte, die in Rom sonst immer stark ist. Ihre Bewerberin, Giorgia Meloni, litt wie Giachetti darunter, dass ihr Lager in einige Skandale verwickelt ist, außerdem gespalten antrat, mit zwei Kandidaten.

Nun wird lebhaft darüber debattiert, ob Raggis Erfolg vornehmlich ein Protestphänomen sei, das sich womöglich schon im zweiten Wahlgang wieder verflüchtige. Oder ob die Römer gerne einmal eine Frau an der Macht sähen, zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt - eine dazu, die keiner Lobby und keiner der diskreditierten Altparteien angehört, die zwar nie exekutive Ämter innehatte, aber neu wirkt, positiv, unbelastet. "Proviamoci", konnte man während der Kampagne oft hören, "probieren wir es doch mal aus." Es ist eine Wette, und sie mutet recht billig an: Die römische Stadtverwaltung dämmert seit einigen Jahren in einem derart bedauerlichen Zustand vor sich hin, dass jeder Wandel zunächst einmal nach Hoffnung riecht.

Im direkten Duell zwischen Raggi und Giachetti entscheiden nun die Wähler der unterlegenen Kandidaten. Auch da scheint Raggi, die in ihrem Programm linke wie rechte Anliegen anspricht, favorisiert zu sein: Postfaschistische Wähler wählen nun mal selten links, nicht einmal mit zugehaltener Nase; außerdem könnten Gegner von Matteo Renzi versucht sein, die Kommunalwahl in Rom als Protestvotum gegen die nationale Politik des Premiers zu nutzen. Giachetti, ein alter Politprofi, bleibt wohl nur die Hoffnung, dass Raggi bei ihren Auftritten vor der Stichwahl oft aufgeregt nach Luft schnappt, wie in der Nacht nach dem Triumph. Gewinnen kann er nur, wenn die Römer den Eindruck gewinnen, dass der Wetteinsatz bei einer Wahl Raggis am Ende doch zu hoch ist.

Besonders knapp kündigt sich das Rennen um Mailand an. Da galt der linke Vertreter Giuseppe Sala, der im vergangenen Jahr die Mailänder Expo zum Erfolg geführt hatte, im Vorfeld als schier unschlagbar. Ein Manager für die Wirtschaftsmetropole - das passte. Nur konnte sich in Mailand auch die Rechte auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, der das Profil eines ähnlich fähigen, moderaten und breit wählbaren Stadtverwalters hat: Stefano Parisi, einst Chef eines Internetkonzerns, machte den Rückstand wett, den ihm die Demoskopen zu Beginn des Wahlkampfs prophezeit hatten. Die beiden trennt nach der ersten Runde weniger als ein Prozentpunkt - Sala holte 41,7 Prozent der Stimmen, Parisi 40,8 Prozent. Sala ist ein Renzianer; verliert die Linke Mailand, wäre das eine bittere Niederlage auch für Renzi. Der Premier hat versucht, die Gemeindewahlen kleinzureden. Mailand aber ist zu groß, als dass es sich kleinreden ließe.

In Turin zeichnet sich eine Wiederwahl von Piero Fassino ab, dem linken Bürgermeister. Doch so leicht, wie man sich das im Partito Democratico ausgemalt hatte, wird es nicht werden für den ehemaligen Parteisekretär. Fassino sieht sich mit Chiara Appendino von den Cinque Stelle konfrontiert, die so frisch wirkt wie Raggi in Rom und nur elf Prozentpunkte hinter ihm liegt. Für einige Aufmerksamkeit sorgt auch die Wahl in Neapel, wo der bisherige Bürgermeister, Luigi De Magistris, im Amt bestätigt werden dürfte. Die Sozialdemokraten haben die Stichwahl verpasst, die bürgerliche Rechte ist weit abgeschlagen. Der frühere Staatsanwalt und Mafiajäger De Magistris wird von keiner großen Partei gestützt. Er lebt von seinem Charisma - und davon, dass er Renzi bei jeder Gelegenheit kritisiert. So scharf wie sonst niemand.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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