Italien:Sie sind so frei

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Italiens Premier Matteo Renzi, 40, vor einem Bild des seines neuesten Unterstützers, des konservativen Strippenziehers Denis Verdini, 64. (Foto: imago)

Ein Allzeitrekord: Seit der Wahl in Italien ist jeder dritte Abgeordnete zu anderen Parteien übergelaufen.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn einer von sich selber sagt, er sei ein Taxi, dann verlangt das nach einer Erklärung. Und Denis Verdini, 64 Jahre alt, gelernter Metzger aus Florenz, später Bankdirektor und nun Senator der Republik, ist plötzlich sehr mitteilungsbedürftig. Er nimmt an Talkshows teil, doziert da ohne Scheu über die Kunst des listigen Taktierens, singt auch schon mal triumphierend ein Liedchen, wie diese Woche, mitten in einem Interview auf dem Privatsender Sky. Die Melodie stammte von Domenico Modugno, dem sizilianischen Liedermacher, der parodierende Text von Denis Verdini. Jeden Ton traf er nicht, doch die Botschaft saß. Sie handelte davon, wie er gerade die Geschicke des Landes mitlenkt.

So erfuhren die Italiener, dass dieser Politiker mit der fülligen Föhnfrisur, den sie bisher als fedelissimo von Silvio Berlusconi gekannt hatten, als dessen engen Vertrauten und Strippenzieher im Schatten, seine Dienste neuerdings dem linken Gegenspieler Matteo Renzi angedeihen lässt. Verdini hat bereits zwölf Senatoren und elf Abgeordnete von Berlusconis Partei Forza Italia überzeugen können, den jungen Premier aus dem anderen politischen Lager beim Reformieren des Landes zu helfen. Mit ihren Stimmen im Parlament. Bald sollen es noch mehr werden. Verdini lädt die Absprungwilligen einzeln in sein Büro ein und sagt zu jedem: "Willst du an der Macht bleiben? Ich bin das Taxi - ich bringe dich in zehn Minuten von Berlusconi zu Renzi." Er sieht sich als Vehikel der Macht. Fahrer erscheint ihm als Rolle wohl zu subaltern.

Nun ließe sich Verdinis Geschichte natürlich gut als typisch italienische Posse lesen, als weitere Illustration für die denkwürdige Neigung italienischer Politiker, nach ihrer Wahl ohne Scham das Lager zu wechseln, wenn das nur der eigenen Karriere dient. In der ersten Hälfte der laufenden Legislaturperiode haben bereits 308 italienische Parlamentarier die Partei gewechselt. Beinahe jeder dritte, ein Allzeitrekord.

Am meisten litt Forza Italia, die schon 83 Vertreter verlor. Und viel deutet darauf hin, dass sich der Aderlass fortsetzt. Verdinis Manöver aber, so hat es wenigstens den Anschein, ist mehr als eine Anekdote: Es verändert die gegenwärtige Machtkonstellation. Vielleicht verschiebt es am Ende auch einige tektonische Platten im - freilich ohnehin eher volatilen - italienischen Parteisystem.

Bisher war es nämlich so, dass Renzi stets hatte befürchten müssen, seine Kritiker im eigenen Lager, die sogenannten Rebellen vom linken Flügel seines Partito Democratico, würden ihn zu Fall bringen. Im Senat sind die Mehrheitsverhältnisse so prekär, dass die Gefahr immer drohte. Auch in diesen Tagen wieder, da über die große Verfassungsreform abgestimmt wird. Die ersten Abstimmungen hätte Renzi auch ohne die Hilfe der Verdiniani gewonnen. Doch fragt sich, ob die Parteilinke auch dann mit Renzi gestimmt hätte, wenn Verdinis Leute nicht als Lückenbüßer bereitgestanden hätten. Oder anders: Die Rebellen haben ihre Erpressungskraft verloren; um nicht allen Einfluss einzubüßen, stimmen sie mit. Verdini richtete schon mal aus, die Seinen würden auch die künftigen Reformen mittragen, ohne formal der Regierung beizutreten.

Bleibt es dabei, hat Renzi fortan immer mehrere Möglichkeiten, um sein politisches Überleben zu sichern: mal mit einer linken Mehrheit, mal mit einer eher zentristischen, zuweilen auch mit einer recht breiten von weit links bis ziemlich weit rechts von der Mitte. So sollte es ihm gelingen, ungefährdet bis zum Ende der Legislatur regieren zu können, bis 2018 also.

Die Frage ist nur, ob die linken Wähler, seine Stammklientel, diese Allianz mit den Überläufern der Rechten dulden oder ob sie Renzi an der Urne dafür bestrafen. Umfragen lassen erahnen, dass ihn dieser Flirt mit Verdini, einem Mann mit etlichen Justizproblemen und einem ideologisch ganz und gar unlinken Profil, viele linke Wählerstimmen kosten wird. Doch Renzi rechnet sich aus, dass er dank liberaler Reformen im bürgerlichen Lager mehr Stimmen dazugewinnt, als er auf der Linken verliert.

Stefano Folli, der politische Chefanalyst der Zeitung La Repubblica, schreibt dazu: "Viele Bürgerliche sind reif für den Renzismus." Sie sind es vor allem deshalb, weil ihr früherer Anführer, Silvio Berlusconi, im Herbst seiner Karriere sie zu Heimatlosen macht: Er scheint selber nicht mehr an sein Comeback zu glauben und schaut machtlos zu, wie ihm die Leute davonlaufen. Er ist jetzt 79. Einen Nachfolger hat er nicht aufgebaut, weil er sich für unersetzlich und auch ein bisschen unsterblich hielt. Bedrängt wird er nun von einem Populisten von ganz rechts, von Matteo Salvini, dem Chef der fremdenfeindlichen Lega Nord, der ihn in den Umfragen bereits überflügelt. Verbündete sich Berlusconi mit Salvini, verlöre er auch seine letzten moderaten Wähler. Lehnt er sich wieder an Renzi an und gibt den edlen Reformhelfer, wie es ihm "Taxi" Verdini rät, rettet er wenigstens seinen Ruf. Mehr aber nicht.

Verdini, so erzählt man sich in Rom, nennt Renzi liebevoll und auch etwas bevaternd "Matteuccio". Beide sind sie Toskaner, sie teilen den speziellen florentinischen Humor. Privat verstehen sie sich offenbar wunderbar. Der Rest ist italienische Politik, mit einem Schuss ins Byzantinische.

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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