Italien:Renzis Risiko

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Italiens Premier muss um seine Regierungskoalition fürchten. Und die Europäische Union um einen Unterstützer.

Von Stefan Ulrich, München

Der verunsicherten Europäischen Union droht jetzt auch noch eine Regierungskrise in Italien. Der europafreundliche Premier Matteo Renzi steckt seit Wochen in der Defensive. Sein Partito Democratico erlitt bei den Kommunalwahlen Anfang Juni Rückschläge, nun beutelt die Bankenkrise das Land, und obendrein wird Innenminister Angelino Alfano von einer Korruptionsaffäre geschwächt. Deswegen hat Alfano seine kleine, zentristische Regierungspartei Nuovo Centrodestra (NCD) nicht mehr unter Kontrolle. Mehrere NCD-Senatoren drohen, aus Renzis Mitte-links-Koalition auszuscheren und sich der rechten Opposition anzuschließen. Dies könnte Renzi die Mehrheit im Senat und damit die Regierungsfähigkeit kosten.

Auslöser der Affäre sind wieder einmal abgehörte Telefongespräche der Justiz, die den Medien zugespielt und diese Woche bekannt wurden. Demnach soll der jüngere Bruder des Innenministers dank politischer Protektion einen Job bei der Post bekommen haben. Zudem soll der Vater des Ministers, ein früherer sizilianischer Kommunalpolitiker, versucht haben, 80 Menschen in korrupter Weise bei der Post unterzubringen.

Der Minister bestreitet ein Fehlverhalten und will den Rücktrittsforderungen der Opposition standhalten. Politisch ist Alfano aber angeschlagen. Dies möchte ein Teil seiner Partei nutzen, um einen Frontwechsel zur Rechten zu vollziehen. Alfano selbst galt einst als Kronprinz des früheren Premiers Silvio Berlusconi. 2013 zerstritt er sich mit seinem Ziehvater und gründete die NCD. Sie koalierte fortan mit Renzis Sozialdemokraten. Für den Premier ist die NCD zuletzt zu einem unbequemen Partner geworden, unter anderem, weil sie auf eine Änderung des Wahlgesetzes drängt.

Renzi hat nun zwei Möglichkeiten: Er kann das Wahlgesetz - entgegen seinem Willen - ändern lassen, um die NCD zu besänftigen. Oder er bleibt hart, verliert womöglich seine Mehrheit im Senat und stürzt als Regierungschef. Dies könnte bereits bei einer Senatsabstimmung kommende Woche geschehen. Für diesen Fall hat Renzi angekündigt, weder eine Technokraten-Regierung noch eine große Koalition mit Berlusconis konservativer Partei Forza Italia anzustreben. Es werde dann vielmehr schon im Oktober Neuwahlen geben. Dies könnte der radikaloppositionellen und europaskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung zu einem Sieg verhelfen. Sie liegt in Umfragen derzeit vor Renzis Partito Democratico.

Eigentlich plante der Premier, die Italiener im Oktober per Referendum über eine Verfassungsreform entscheiden zu lassen, die tragende Säule seiner Reformpolitik. So gestärkt wollte er in künftige Wahlen gehen. Jetzt muss Renzi seine Strategie überdenken. Denn auch das Referendum würde er nach derzeitigem Meinungsstand wohl verlieren.

© SZ vom 08.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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