Italien:Ratlos schweift der Sinn bis Osten

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„Nein zu den Sanktionen gegen Russland“, das fordert Lega-Führer Matteo Salvini bei jeder Gelegenheit. Es gibt Hinweise, dass seine Partei auch mit russischem Geld finanziert wird. (Foto: imago/ITAR-TASS)

Cinque Stelle und Lega trennt beim Verhandeln über eine Regierung vor allem, dass beide den Premier beanspruchen. Gemeinsam ist den Populisten aber, dass sie sogar Nato- und Westanbindung infrage stellen.

Von Oliver Meiler, Rom

Im neuen Italien stehen nun auch die außenpolitischen Traditionen zur Debatte: das unmissverständliche Bekenntnis zum Westen etwa, zur Nato, zu Europa. 70 Jahre lang hatten die alten Prinzipien der Republik fest gegolten. Nach den Parlamentswahlen vom 4. März und dem Sieg der systemkritischen Populisten sind sie jetzt plötzlich verhandelbar geworden. Wenigstens verbal. Und das Land mit seinen Militärbasen im südlichen Mittelmeerraum sucht ausgerechnet in dieser Phase, da sich Washington und Moskau mit kriegerischem Tonfall über die Lage in Syrien streiten, eine neue Regierung. Deshalb ist diese Debatte für die Welt draußen vielleicht fast genauso relevant wie für Italien selbst. "Auf wessen Seite stehen wir?", fragt die Zeitung La Repubblica.

Im Quirinalspalast, dem Sitz des italienischen Staatspräsidenten in Rom, läuft nun die zweite Konsultationsrunde zur Findung einer Regierung. War die erste geprägt von taktischen Spielereien, steht über der zweiten nun die geopolitische Standortfrage: Mit Moskau? Oder mit Washington? Hört sich grotesk an.

Beide Parteien sind europakritisch und prorussisch. Auch das sorgt Brüssel, Berlin und Washington

Noch immer ist jedoch unklar, wer mit wem regieren wird, wenn sich denn überhaupt zwei Blöcke im dreigeteilten Parlament zu einer Mehrheit zusammenschließen möchten. Am weitesten scheint bisher jene mögliche Koalition gediehen zu sein, die das außenpolitische Setting Italiens am radikalsten hinterfragen würde: zwischen der Protestbewegung Cinque Stelle und der rechtsnationalen Lega. Die Hälfte aller Wählerstimmen entfiel auf diese Parteien. Die Allianz wäre wohl schon besiegelt, gäbe es da nicht einige schier unüberbrückbare persönliche Interessensdifferenzen zwischen ihren Chefs, Luigi Di Maio von den Cinque Stelle und Matteo Salvini von der Lega, von denen keiner im Schatten des anderen stehen möchte. Die politischen Affinitäten jedenfalls sind mannigfach und verursachen in Brüssel, Berlin und Washington viel Sorge.

Beide Parteien sind europakritisch und prorussisch. Vor allem Salvini, nunmehr Chef des gesamten Rechtslagers, ist ein überzeugter "Putiniano". Putinianer, so nennen sie in Italien Anhänger Wladimir Putins. In der Politik gibt es etliche von ihnen, doch Salvini ist ein Super-Putinianer. Er hat sich schon mit ihm getroffen, trug schon T-Shirts mit Putins Konterfei, er warb unlängst auch für dessen Wiederwahl zum russischen Staatspräsidenten. Einfach so? Es gibt Vermutungen, dass die Lega mit russischem Geld finanziert wird. Das Magazin L' Esp resso recherchierte in der Affäre, zeichnete Netzwerke nach. Dementiert hat die Lega nichts.

Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, plädiert Salvini für eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Russland. Das tun andere italienische Politiker zwar auch, linke wie rechte, weil das Land stark vom Gasimport aus Russland abhängt und den Kreml schon deshalb nicht irritieren mag. Außerdem bangen viele italienische Firmen um einen ihrer wichtigsten Absatzmärkte: Die Russen lieben italienische Produkte, Mode, Möbel, Mozzarella. Doch kein Italiener plädiert vehementer für ein Ende der Sanktionen als Salvini, nicht einmal Silvio Berlusconi, ein persönlicher Freund Putins.

Auch die Fünf Sterne haben eine Schwäche für den starken Mann in Moskau. Einmal nahmen Exponenten der Bewegung an einem Parteitag von Putins Einiges Russland teil, eine Art Studienreise. Und auch die Cinque Stelle stehen im Ruf, dass ihnen Russland hilft. Italiens alte Treue zum atlantischen Pakt missfällt der Partei. Im Programm steht, es sei "unbedingt notwendig", dass über die aktuelle Rolle der Nato nachgedacht werde, und zwar fundamental.

Di Maio ist neuerdings bemüht, sich moderater zu geben. Er will sich seine Chancen auf die Macht nicht mit drastischen Positionen verspielen. Italien, sagte er nach der ersten Runde der Regierungsgespräche, stehe zur Nato und zu den europäischen Verträgen. Man darf davon ausgehen, dass Sergio Mattarella ihn zu diesem Votum gedrängt hat. Der Staatspräsident befindet sich in einer misslichen Lage: Er soll dem Land zu einer Regierung verhelfen, die dem Wählerwillen entspricht, ohne dabei gleichzeitig das Ausland zu erschrecken. Ein Kabinett nur aus Populisten würde der Sache nicht wirklich dienen.

Eine Alternative zeichnet sich bisher nicht ab. Die Sozialdemokraten zieren sich weiter, mit den Cinque Stelle zu verhandeln. Und so bleibt Mattarella vorerst nur die Rolle des Mahners und Prinzipienhüters: für Europa, für die Nato, für den Westen. Es heißt, der Sizilianer werde keine Regierung zulassen, die nicht auf diesen alten Pfeilern fußt.

© SZ vom 13.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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